Seelentraeume
wie viele
Diener
vom Markt kommen.«
Er hatte ja recht. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, jemanden danach zu fragen, ob seine Diener Sklaven waren. Sie ging davon aus, dass dem nicht so war.
»Die Sklavenhändler betreiben Legendenbildung«, sagte er. »Sie tragen Schwarz, rüsten sich mit Wolfripper-Hunden aus und reiten dunkle Pferde. Sie tauchen mitten in der Nacht wie aus dem Nichts auf, fahren ihre menschliche Ernte ein, brennen die Ansiedlungen nieder und verschwinden wie Gespenster.«
»Der Schrecken der Nacht«, sagte sie.
Bastarde
.
Richard nickte. »Weil es immer schwerer ist, gegen die eigenen Ängste anzukämpfen als gegen Männer aus Fleisch und Blut, wollen sie der Stoff sein, aus dem Albträume gewirkt sind. Sie betrachten sich als über dem Gesetz stehend. Wie Wölfe, die Schafe reißen. Und sie klammern sich an ihren Größenwahn, weil sie sonst nichts haben und weil sie glauben, dass ihre Grausamkeit ihnen Macht verleiht. Wenn Sie also eine ehrliche Antwort erwarten, können Sie sie haben: Sie haben Éléonore und Daisy getötet und Ihr Haus angezündet, weil sie es immer so machen. Daran war nichts persönlich und geplant. Sie haben nicht mal lange darüber nachgedacht. Das ist eben ihr Geschäftsgebaren. Das Leben anderer bedeutet ihnen nichts. Sie sind eben Sklavenhändler.«
Seine Worte machten sie noch wütender. »Und Sie?«
»Ich jage Sklavenhändler. In den letzten Monaten habe ich Dutzende von ihnen getötet. Da sie sich für Wölfe halten, nennen sie mich den Jäger. Und sie mögen mich nicht besonders.«
»Das sehe ich.«
»Ich habe einen Fehler gemacht, und sie haben mich schließlich erwischt. Sie wollten mit mir zum Markt, um mich dort öffentlich hinzurichten.«
Das erklärte einiges. Die Sklavenhändler hatten ihn nicht geschlagen, um ihm wehzutun – schließlich war er bewusstlos gewesen –, sondern damit er weniger Furcht einflößend wirkte. Sie hatten Angst vor ihm. Wenn sie der Schrecken der Nacht waren, dann war er der legendäre Killer, und wenn man eine Legende tötete, musste man es so öffentlich wie möglich tun, sonst brachte es gar nichts.
»Gibt es noch mehr von denen?«
»Viel mehr.« Richard verzog das Gesicht. »Wie viele ich auch töte, es gibt immer wieder neue.«
Viele neue. Was noch mehr tote Daisys und Éléonores bedeutete und noch mehr Tulips, die ihre Toten beklagen mussten. Viele Menschen wie sie, die mit einer klaffenden Lücke im Leben klarkommen mussten und nicht wussten, wie sie den Scherbenhaufen kitten und weiterleben sollten. Die Magie in ihr brodelte. Körperlich war sie beinahe erschöpft, trotzdem hätte sie ihre Wut am liebsten rausgeschrien. Warum hörte das nicht auf? Wer ließ zu, dass so etwas geschah? Glaubten diese Typen etwa, dass sie niemand aufhalten konnte? Sie konnte es und hatte es getan. Und sie würde es wieder tun. Es war noch nicht vorbei. Sie war noch nicht fertig mit ihnen.
»Erzählen Sie mir mehr«, sagte Charlotte.
Doch er schüttelte den Kopf. »Nicht durch die Gitterstäbe.«
Sie beugte sich zurück. »Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, Sie rauszulassen. Ich habe keine Ahnung, was Sie dann machen.«
Sein Blick traf ihren. »Mylady, ich versichere, dass ich keine Gefahr für Sie bin.«
»Sagt einer, der Wölfe jagt.«
»Sie halten mich für gefährlich, lassen aber zu, dass sich ein Sklavenhändlerhund mit blutigen Fängen neben Sie legt.«
»Den Hund kenne ich länger als Sie.«
Er grinste. »Können sich zwei Menschen durch die Stäbe des menschlichen Käfigs kennenlernen?«
Charlotte blinzelte. Ein Zitat aus der
Gefangenen-Ballade
, einem Werk, das allgemein als einer der Höhepunkte der adrianglianischen Literatur galt. Da saß sie mitten auf einer mit Leichen übersäten Lichtung auf einem Haufen schmutziger Satteltaschen, und ein Mann, der seinem eigenen Bekunden zufolge ein Serienmörder war, zitierte ihr aus einem philosophischen Meisterwerk. Das konnte nur ein absurder, surrealer Traum sein.
»Ich könnte auch einfach gehen und Sie in diesem Käfig versauern lassen«, sagte sie.
»Ich glaube nicht, dass Sie das tun«, sagte Richard.
»Was macht Sie da so sicher?«
»Sie haben mich geheilt«, antwortete er. »Ich erinnere mich an Ihre Augen. Sie würden keinen Mann zu einem langsamen Tod verurteilen.«
Er hatte sie eine Schwindlerin genannt. Jetzt konnte sie ihn nicht mehr verhungern lassen, und mochte er noch so gefährlich sein. »Wenn ich den Käfig öffne, beantworten Sie
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