Seelentraeume
sich der alte Schmerz, auch keine Kinder zu haben. »Das tut mir leid.«
Er schwieg, für einen Moment aus dem Konzept gebracht. »Danke.«
Peinliche Stille machte sich zwischen ihnen breit.
Richard räusperte sich. »Ich habe es nicht anders gewollt, und am Anfang hielt ich mich für abgeklärt genug. Aber das war ich nicht. Ich habe im Lauf der Zeit Grausamkeiten erlebt, vor denen die meisten Menschen zurückschrecken würden, und weil ich so skrupellos sein musste wie meine Gegner, habe ich selbst einige begangen. Erbarmen oder Mitgefühl finden auf diesem Weg keinen Platz, und zurück kann ich nun nicht mehr. Dieses Leben verändert einen, und sollte ich heil davonkommen, bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt noch mal ein normales Leben führen kann. Irren Sie sich nicht, Mylady, ich bin ein Monster. Folgen Sie mir lieber nicht. Es wäre eine Einbahnstraße, die gesunde, freundliche Menschen meiden sollten.«
»Und was ist mit Massenmördern?«, fragte sie. »Was empfehlen Sie uns?«
Richard schüttelte den Kopf. »Gehen Sie heim, Mylady.«
»Mein Heim ist abgebrannt.«
»Diese Leute sind unbarmherzige, grausame Schurken. Überlegen Sie, wer Sie werden müssten, um sie zu jagen.«
Er verstand sie offenbar nicht. »Sehen Sie sich doch mal um«, sagte sie leise. »Ich bin ins Edge gekommen, um mich vor meiner Magie zu verstecken. Ich bin geflohen, weil ich als Heilerin dazu verpflichtet bin, diese Magie zu beherrschen und dafür zu sorgen, dass ich niemandem damit schade. Ich musste irgendwohin, wo meine Macht geschwächt wurde und mich niemand kannte. Jemand hatte mich verletzt, und ich war mir nicht sicher, ob ich meine Gefühle kontrollieren können und nicht stattdessen auf Rache sinnen würde. Also bin ich ins Edge gegangen. Ich war fast verhungert, als Éléonore mich fand. Sie hat mich gerettet, Richard. Dank ihr konnte ich mir ein neues Leben aufbauen. Ich war zufrieden, und das hier …« Sie deutete mit einer ausholenden Geste auf die Leichen ringsum. »… war in mir eingeschlafen. Doch dann haben die sie getötet. Und Daisy.«
Ihre Stimme brach, sie schluckte. »Das Mädchen war erst dreiundzwanzig, Richard. Dreiundzwanzig. Sie hatte gerade erst zu leben angefangen, aber die haben sie vernichtet und ihrer Schwester das Herz herausgerissen. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich Tulip den Tod ihrer Schwester beweinen. Ich kann es nicht ungeschehen machen. Aber sie einfach damit durchkommen lassen kann ich auch nicht.«
»Sie müssen es versuchen«, meinte er. »Rache wird Sie bei lebendigem Leib auffressen.«
»Um Rache geht es nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Es geht darum, sie aufzuhalten. Sie haben mich vor diesem Weg zu warnen versucht, in Wahrheit habe ich ihn längst eingeschlagen. Haben Sie schon mal vom Eid der Heilerinnen gehört?«
»Ich gelobe, den menschlichen Körper zu heiligen«, zitierte er. »Ich werde meine gesamte Kraft, meine Magie und alles, was ich über Therapien und Arzneien weiß, darauf verwenden, Leben zu erhalten, Krankheiten zu heilen und Leiden zu lindern. Ich schwöre, niemandem durch meine Magie und meine Fertigkeiten wissentlich Schaden zuzufügen. Ich werde Arzneien nur dann verordnen, wenn sie unumgänglich sind. Ich werde nicht danach trachten, aus Eitelkeit, Wissensdurst oder Vermessenheit in die Gegebenheiten der Natur einzugreifen.«
»Woher wissen Sie das?«
»In meiner Familie gab es eine anerkannte Ärztin«, antwortete Richard.
»Es geht noch weiter«, sagte sie. »Sollte ich diesen Eid fahrlässig brechen, werde ich mich in die Hand meinesgleichen begeben, ihr Urteil und meine Ehrlosigkeit akzeptieren und, sollte ich schuldig gesprochen werden, nie wieder Medizin praktizieren. Sollte ich diesen Eid vorsätzlich brechen, werde ich es in Kenntnis meines Verrats an mir selbst tun. Ich werde Schuld auf meine Lehrer geladen und meine Schüler Zweifeln und Misstrauen ausgesetzt haben. Mein Name soll allen, die mich gekannt haben, bitter schmecken, meine Ehrlosigkeit soll mir ins Gesicht geschrieben stehen, ich soll zu Nichts vergehen und, bis auf ein Beispiel des Scheiterns und der Schwäche, dem Vergessen anheimfallen und vor den Augen der Welt als ein Gräuel gelten.«
Er wartete.
»Ich bin Heilerin, ich habe meinen Abschluss auf dem Garner College gemacht. Und heute habe ich mithilfe meiner Magie Menschen getötet. Willentlich.« Die Worte schmeckten faul auf ihrer Zunge. »Mein Leben ist vorüber. Verstehen Sie das? Ich habe alles, was
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