Seelentraeume
übersäte Lichtung hinter ihr war ihr schmerzhaft bewusst.
Still dazusitzen und den Männern die Lebenskraft abzuzapfen, ihre Körper zu schwächen und zugleich ihre eigenen Reserven aufzufüllen, hatte ihre gesamte Willenskraft erfordert. Sie hatte angenommen, sie nur so alle auf einmal und schnell töten zu können. Schließlich hatte sie die Männer infiziert und ihre Magie gegen sie und zur Begünstigung ihrer Krankheit verwendet. Sie spürten nichts, bis die magisch beschleunigte Krankheit ausbrach und ihnen binnen weniger qualvoller Augenblicke das Leben nahm. Sie hatten kein Erbarmen verdient, allerdings hatte sie weniger ihr Leiden als ihren Tod im Sinn. Weiterleben kam nicht infrage, also sorgte sie für ein schnelles Ende.
Das galt für alle außer dem Anführer. Irgendetwas hatte sie gezwungen, ihn langsam zu töten. Sie hatte seinen Körper, während er der Krankheit erlag, überwacht. Das Gefühl tiefer Befriedigung, das sie überkam, als er starb, entsetzte Charlotte bis ins Mark. Sie musste ihn töten, bevor sie seine Qual zu genießen begann.
Die Magie hatte sie sogar jetzt noch im Griff, flüsterte in ihrem Kopf und flehte sie an, noch nicht aufzuhören. Doch sie sperrte sie in den Käfig ihres Willens und zwang sie so, endlich abzuflauen. Sie hatte den als Heilerin geleisteten Eid gebrochen, trotzdem war sie kein Gräuel. Noch nicht. Noch war sie Herrin der Lage.
Richard trat an die Gitterstäbe, das lange, dunkle Haar fiel ihm ins Gesicht. Fast wäre sie einen Schritt zurückgewichen.
Seine Farbe stimmte, bemerkte sie. Stabile Lebenszeichen. Sein kräftiger, trainierter Körper erholte sich erstaunlich schnell. Sein Gesicht war schmutzig, sie sah Blutergüsse, und aus seinen Kleidern stieg der Geruch von altem Urin. Die Strolche hatten ihn zu brechen und zu erniedrigen versucht, doch das änderte nichts. Er achtete einfach nicht darauf, so wie die meisten Menschen, einen kleinen Regenguss ignorierten, wenn sie es eilig hatten. Er war nicht gedemütigt. Weder eingeschüchtert noch geschlagen. Sein Blick verriet einen berechnenden Verstand. Er glich einem alten, angeketteten Wolf – tödlich, verschlagen, für den Moment gezähmt, den richtigen Moment abwartend. Von ihm ging Gefahr aus. Während ihrer Jahre als Heilerin hatte Charlotte viele gefährliche Menschen geheilt, Soldaten, Agenten, Spione, und ihre Instinkte rieten ihr, sich von ihm fernzuhalten.
Da öffnete Richard den Mund.
Alarmiert beschleunigte sich ihr Puls.
»Es gibt Sie wirklich«, sagte er.
Was
? »Ja.«
»Als ich in dem Käfig zu mir kam, dachte ich, ich hätte Sie nur geträumt.«
Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. »Als wir uns begegneten, waren Sie nicht bei Sinnen.«
»Haben Sie mich geheilt?«
Sie nickte.
»Danke.«
Sie zwang sich, auf einem Stapel Taschen Platz zu nehmen. Der Hund der Sklavenhändler trottete zu ihr und ließ sich zwischen dem Käfig und ihr nieder. Richard hob die Augenbrauen.
»Éléonore ist tot«, berichtete sie. »Die haben sie umgebracht. Und eine junge Frau. Daisy. Danach haben sie mein Haus in Brand gesetzt.«
»Tut mir leid.«
In seiner Stimme lag unerwartete Ernsthaftigkeit.
»Sie haben mir diesen Albtraum beschert«, sagte sie.
Er nickte. »Ja, habe ich, aber nicht absichtlich, trotzdem bin ich dafür verantwortlich.«
»Ich möchte wissen, warum. Warum haben die uns das angetan?«
Richard trat von einem Fuß auf den anderen. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt. Das tut bestimmt weh, dachte Charlotte.
»Diese Typen sind Sklavenhändler. Sie überfallen einsame Siedlungen im Weird und im Edge, und manchmal sogar im Broken. Sie entführen Männer und Frauen und bringen sie zu geheimen Treffpunkten an der Küste, wo sie auf Schiffe verfrachtet werden. Von dort kommen die Gefangenen zum Markt, einem geheimen Auktionshaus, wo sie an den Meistbietenden verkauft werden. Die Sklaverei ist seit dreihundert Jahren verboten, trotzdem floriert ihr Geschäft.«
»Aber wie? Wenn Sklaverei illegal ist …«
»Die Grenzbarone brauchen ständig Nachschub für ihre Baustellen und Armeen. Auch in den Bergwerken schuften Sklaven. Und Zauberer, die sich auf die verbotenen Verwendungszwecke magischer Theorien einlassen, kaufen sich menschliche Versuchskaninchen. Und außerdem, na ja, würden Sie, wenn Sie einen reichen Mann mit einer jungen, schönen Frau im Arm sehen, fragen, ob sie frei ist?«
»Barbarisch.«
Richards Blick wurde hart. »Sie wären überrascht,
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