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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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anfasste. Charlotte ließ ihre Hand sinken.
    »Ihre Krankenakte ist sauber«, sagte sie.
    »Das höre ich gerne.«
    Er sah sie an. Das durch die Lücke zwischen den Vorhängen fallende Licht warf einen leuchtend goldenen Streifen über sein Gesicht, verlieh seiner Haut einen Goldton und seinen Iriden einen kräftigen rostroten Glanz. Ja, er sah gut aus, sein Körper war kräftig und durchtrainiert, und die von ihm ausgehende Gefährlichkeit machte ihn noch anziehender. Als Charlotte ihn ansah, ihn in diesem Moment ganz genau ins Auge fasste, fand sie ihn einfach umwerfend.
    Aber sie hatte kein Recht, ihn so anzuschauen. Sie befanden sich beide im Einsatz, was keinen Raum ließ für Schwachheiten oder gegenseitige Anziehung.
    »Wir haben noch nicht über den Plan gesprochen«, bemerkte sie.
    »Ganz einfach«, sagte er. »Wir geben uns als Sklavenhändler aus, gehen an Bord und fahren auf dem Schiff zum Markt. Sobald wir uns dem Hafen nähern, müssen Sie unter Umständen die Mannschaft ausschalten. Damit an Land niemand auf uns aufmerksam wird, muss das schnell und lautlos über die Bühne gehen.«
    »Können Jasons Leute das Schiff denn steuern?«
    »Jedenfalls hat er mir das versichert. Er mag viele Fehler haben, aber er ist tüchtig und kompetent. Wir sind hier in einer Hafenstadt, und er beschäftigt viele ehemalige Seeleute. Wir legen also an und lassen Jason und seine Halsabschneider tun, was sie am besten können. Wir zwei machen uns in der Zwischenzeit auf die Suche nach dem Buchhalter. Wir müssen alle an der Spitze der Hierarchie eliminieren, und um das hinzukriegen, brauchen wir den Buchhalter lebend. Sobald wir die Identität seiner Vorgesetzten kennen, haben wir einen Anhaltspunkt.«
    Sie würde also wieder töten müssen. Sie wusste sehr wohl, worauf sie sich eingelassen hatte, als sie verlangte, ihn begleiten zu dürfen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, zimperlich zu werden. »Ein guter Plan«, sagte sie. »Und wie groß wird die Mannschaft, die ich töten soll, ungefähr sein?«
    »Ihr Schiff dürfte ziemlich schnell, wendig und unauffällig sein. Ich würde auf eine Brigantine oder einen Albatros tippen. Das bedeutet höchstens fünfzehn, zwanzig Leute. Ist das ein Problem?«
    Eine schwierige Frage. »Nein. Kein Problem«, teilte sie ihm mit.
    Richard stand auf. »Ich warte draußen auf Sie.«
    Er nahm sein Schwert und ging hinaus.
    In dem Moment, in dem sie den roten Funken in ihrem Innern entdeckte, hätte sie die Folgen erkennen müssen. Ihr Leben als Heilerin war vorüber. Und ihr Leben als Gräuel würde brutal und ohne Mitgefühl oder Wärme sein, dafür aber vermutlich sehr kurz. Aber auch lohnenswert, dachte sie. Wenn nie wieder ein Kind so weinen musste wie Tulip, weil die Sklavenhändler ihm das Liebste genommen hatten, würde es sich gelohnt haben.
    Die Leiche lag auf einem Tisch, ein großer Mann, etwa zehn Jahre älter als Jason, aber mit ähnlicher Hautfarbe. Die Wange des Toten wies dasselbe Muster auf wie die Narbe in Jasons Gesicht.
    Die Leiche wirkte frisch. Ein Rivale, ein langjähriger Feind? Oder, was wahrscheinlicher war, ein Fremder, der Jason zufällig ähnlich sah. Charlotte atmete leise aus. Sie hatte diese Welt auf eigene Gefahr betreten. Sie würde schon klarkommen.
    Richard lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. Der Verbrecherkönig saß neben der Leiche auf einem Stuhl. Auch Miko lehnte an der Wand, wie Richards Spiegelbild, ein Bein angewinkelt, den Fuß abgestützt. Ein seltsames Mädchen, still, das schmale Gesicht ruhig. Trotzdem haftete ihr etwas seltsam Unberechenbares an, als würde sie den richtigen Augenblick abwarten, jemanden zu erdolchen.
    Die Verunstaltung der Leiche wirkte roh und frisch. Während die Male in Jasons Gesicht bereits über ein Jahr alt waren.
    »Wie wollen Sie die Verbrennung alt aussehen lassen?«, fragte Charlotte.
    »Wir haben eine Nekromantin«, antwortete Jason. »Die wird sie älter machen. Brauchen Sie irgendetwas, um mich zu heilen?«
    Charlotte schüttelte den Kopf.
    Sie spürte noch die Nachwirkungen der Erschöpfung in den Knochen, andererseits hatte sie sich viel schneller erholt als erwartet. Wenn sie gestern sechzehn Menschen geheilt hätte, läge sie jetzt noch im Bett, unfähig, sich zu bewegen. So jedoch fühlte sie sich … erfrischt. Erleichtert, als wäre sie von einer schweren Last befreit worden. Ironie der Geschichte.
    Wer heilt, bringt ein edelmütiges Opfer
, belehrte sie in ihrer Erinnerung Lady

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