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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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kam, warum sie ins Edge geflohen war und auf welche Weise ihr Exmann sie verletzt hatte, doch die Erschöpfung überwältigte ihn. Richard schloss die Augen und ergab sich dem Schlaf.

5
    Als Charlotte erwachte, fiel durch die Fenster Sonnenlicht ins Zimmer. Der zarte, blasse Glanz der späten Morgenstunde verlieh dem leuchtenden Gelb der Bettwäsche einen matten Pfirsichton.
    Richard stand mit dem nackten Rücken zu ihr an der Tür. Er trug jetzt dunkle Hosen und hatte ein weißes Hemd in der Hand. Unter seiner gebräunten Haut wölbten sich harte, kräftige Muskeln, als hätte er die Sonnenwärme absorbiert und sei nun von ihr durchdrungen. Er hatte den Körper eines Raubtiers, schlank, stark, perfekt ausbalanciert. Furchterregend in seiner Gewaltbereitschaft, zugleich unwiderstehlich anziehend. Sie wollte mit der Hand über seinen Rücken streichen und die Konturen seiner Muskeln nachzeichnen. Ein ausschließlich sinnlicher Wunsch, ein rein körperliches Bedürfnis ohne Hintergedanken. Er war so überaus männlich, dass sie ihn am liebsten angefasst hätte.
    Richard hob die Arme und zog das Hemd an. Die Muskeln unter der Haut strafften sich, wölbten die breiten Schultern. Sie schaute wie hypnotisiert. Als sie am Vorabend halb tot in dieses fremde Bett kletterte, war ihr eingefallen, dass sie sich tief im schlimmsten Viertel der Stadt im Haus eines Kriminellen befand. Falls Jason Parris sie beide umbringen wollte, konnte er das jederzeit straflos tun. Ihre Furcht hatte sich bis zur drohenden Panikattacke gesteigert. Doch dann hatte sich Richard mit dem Rücken vor der Tür niedergelassen, und ihre Angst verging. Sie spürte, dass nichts ihn überwinden und ihr etwas anhaben konnte. Selbstsüchtig schloss sie die Augen, in dem Bewusstsein, dass er sich bis zum Morgen nicht von der Stelle rühren würde, und schlief gut.
    Als er gestern Abend mit sauberer Haut und feuchten Haaren aus dem Bad gekommen war, hatte sie ihn angesehen, obwohl sie wusste, dass sie es nicht durfte. Er verkörperte Stärke, während sie sich, obwohl sie es besser wusste, schwach fühlte. Außerdem hatte sie Schreckliches durchgemacht, sie war versucht, sich daran zu erinnern, dass sie immer noch unter denkbar urwüchsigen Bedingungen lebte. Sie würde ihm das nicht antun. Erstens, weil sich so etwas einfach nicht schickte, nicht auf diese Weise und nicht wenn man sich seit nicht einmal zwei Tagen kannte. Und zweitens hatte Richard klargestellt, dass sein Erfolg von seiner Unabhängigkeit abhing. Gewiss würde er ihr eine Abfuhr erteilen.
    Außerdem waren sie beide nicht recht bei Verstand. Menschen, die nichts zu verlieren hatten, taten oft verrückte Dinge, daher hörte sie besser auf die Stimme der Vernunft.
    Dann drehte er sich um.
    Sie erinnerte sich daran, dass er gut aussah, trotzdem traf sie sein Gesicht unvorbereitet. Seine klugen, eindringlichen Augen maßen sie, und sie musste sich anstrengen nicht zu stottern.
    »Guten Morgen«, sagte Richard.
    Sie verließ sich auf ihre jahrelange Ausbildung, sodass ihre Stimme, als sie diese endlich wiedergefunden hatte, vollkommen entspannt klang. »Guten Morgen.«
    »Jasons Leute haben uns neue Sachen gebracht«, sagte er und deutete auf einen Stapel Kleider auf dem Sessel. »Sie sind alt und sicher nicht so schön, wie die Sachen, die Sie sonst tragen, aber wir erregen besser keine Aufmerksamkeit. Im Kessel wird man mit neuen Kleidern leicht umgebracht, was wir lieber vermeiden sollten.«
    In Anbetracht seiner Verletzung hätte er besser etwas länger geschlafen. »Wie lange sind Sie schon auf?«
    »Noch nicht lange.«
    »Kommen Sie mal her.«
    Er kam zum Bett. Charlotte setzte sich auf, drückte die Bettdecke an die Brust, hob eine Hand und berührte mit den Fingern seinen Hals. Seine Haut fühlte sich heiß an. Eine nervöse Erregung erfasste sie. Sie roch den leichten Seifenduft, der aus seinen Haaren und von seiner Haut aufstieg, sowie einen würzigen Hauch und Zitrusfrüchte.
    Jetzt mal im Ernst. Sie war zweiunddreißig Jahre alt. Sie konnte ihre Libido durchaus beherrschen. Charlotte konzentrierte sich. Ihre Magie entschlüpfte ihren Fingern und ging ihm unter die Haut. Die Wunde war fast vollständig verheilt. Die Temperatur normal. Leicht dehydriert, etwas erhöhter Puls, der in dem Augenblick zulegte, als sie ihn berührte. Natürlich, sagte sie sich, schließlich hatte er sie sechzehn Menschen abschlachten sehen. Selbstverständlich schrillten seine Alarmsirenen, wenn sie ihn

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