Seelentraeume
erloschen, als hätte es sie nie gegeben, und er war wieder ein Teenager – linkisch und sprachlos. Mit offenem Mund starrte er sie an, unfähig, den Blick abzuwenden, unfähig, irgendeinen Laut von sich zu geben, unfähig, etwas anderes zu tun als zu gaffen.
Er wollte sie. Sie war ein feuchter Traum.
Das konnte nicht wirklich sein. Er saß immer noch in einem Käfig oder lag sterbend im Straßengraben, und sein fieberndes Hirn hatte eine wunderschöne Fantasie heraufbeschworen, um ihn vor seinem Übertritt ins Jenseits ein letztes Mal zu verhöhnen.
Ein hellrosa Hauch glitt über Charlottes Wangen.
Sieh weg, Schwachkopf
.
Richard schloss den Mund und zwang sich, zum Bett zu gehen und nach seinem Kleiderstapel zu greifen. »Sie haben anscheinend recht. Jason hat wirklich Sinn für Humor. Hoffen wir, ich komme nicht in einem Lendenschurz aus Leder wieder raus.«
Er eilte ins Bad und zwang sich, während er das Zimmer durchquerte, überallhin zu sehen, nur nicht zu Charlotte.
Unter der Dusche stützte er sich mit beiden Händen an der Wand ab und ließ das Wasser auf seinen Hinterkopf prasseln und seine müden Muskeln massieren. Richard schloss die Augen und sah Charlotte.
Reiß dich zusammen. Du bist der Kerl, den sie dreckverkrustet, nach Pisse stinkend und blutbesudelt aus einem Käfig befreit hat
. Mit dem sie Mitleid hatte und den sie geheilt hat. Sie konnte ja nicht wissen, dass sie ihn damit freundlicher behandelte als irgendeine andere Frau seit Jahren. Für sie war das alles lediglich selbstverständliche Nächstenliebe gewesen.
Sie war eine schöne, kultivierte Frau. Ein Mann hätte tot sein müssen, um das nicht zu bemerken. Er war dem Tod verdammt nahe gewesen, und sein Körper freute sich darüber, davongekommen zu sein. Keine Frage, dass er entsprechend reagierte. Sie vertraute ihm, und er würde ihr Vertrauen nicht missbrauchen. Auch wenn sie ihn an sich heranließ, was sie bestimmt nicht tun würde, hatte Charlotte immer noch eine emotionale Katastrophe erlitten. Nur ein Schuft würde das ausnutzen, und er wollte nicht der Fehler sein, den sie am nächsten Morgen als Erstes bereute.
Richard schaltete seinen Verstand ab, seifte den Schwamm ein und schrubbte sich, bis er nichts anderes mehr roch als den frischen, würzigen Duft der Seife. Trotzdem strengte ihn das Duschen beinahe über Gebühr an. Während er so unter dem Wasserstrahl stand, überlegte er, ob er sich einfach auf den Boden setzen und nie wieder aufstehen sollte. Andererseits war er sich ziemlich sicher, dass sie nach ihm sehen würde, und nackt und zusammengesackt auf dem Boden der Dusche gefunden zu werden, wäre eine Katastrophe.
Jason hatte ihnen diese Klamotten absichtlich hingelegt. Der Mann war schlau und scharfsinnig. Vermutlich hatte er ihrer Körpersprache entnommen, dass sie zwar zusammen unterwegs, aber nicht intim waren, und die Gelegenheit ergriffen, ihn zu verhöhnen. Dieser Punkt ging, wenn Richard richtig lag, an Jason Parris, allerdings hatte er kein Interesse an Nebenkriegsschauplätzen.
Seine Klamotten entpuppten sich als schlichte Weird-Tracht, dunkelgraue Unterwäsche, Tunika, braune Baumwollhosen. Damit würde er bis zur Beschaffung neuer Kleidung auskommen.
Er verließ das Bad. Charlotte lag bereits auf ihrer Seite unter der Bettdecke, die Augen halb geschlossen. Er war sich nicht sicher, ob sie bereits eingeschlafen war oder ihn durch den Vorhang ihrer seidigen Wimpern beobachtete.
Richard hob sein Schwert auf und ließ sich mit gekreuzten Beinen neben der Tür zu Boden sinken, die Waffe gegen seine Schulter gelehnt. Generationen seiner Vorfahren hatten so geschlafen, und manche von ihnen wachten auf und hatten mit dem Schwert nächtliche Angreifer durchbohrt. Falls Jason also auf die abartige Idee kam, ihre Nachtruhe zu stören, würde er wie sie in die ewigen Jagdgründe eingehen.
»Richard«, sagte Charlotte.
»Ja?«
»Sorgen Sie sich, wir könnten die Nacht nicht überleben?«
Lügen war sinnlos. »Ich bin lieber vorsichtig.«
»Wie wäre es mit einer Decke und einem Kissen?«
Wie gerne wäre er zu ihr ins Bett gekrochen.
Und was dann? Du bist dermaßen kaputt, dass du nicht mehr geradeaus gucken kannst
. »Nein, danke, ich bin daran gewöhnt, so zu schlafen. Es beruhigt mich.«
Sie bewegte sich im Bett. »Danke.«
»Wofür?«
»Dafür, dass Sie die Tür bewachen. Und dafür, dass Sie mich mitgenommen haben.«
Er hätte ihr gerne jede Menge Fragen gestellt. Er wollte wissen, woher sie
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