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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Aufruhr. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    Der Blick des Seemanns blieb an Charlotte hängen. »Hübsch. Ich hab schon immer auf Blondinen mit ordentlichem Vorbau gestanden.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde schloss George die Augen und versuchte sich an die Eindrücke seiner Kindheit zu erinnern. War Mutter blond? Er gab sich alle Mühe, durchsuchte sein unscharfes Gedächtnis …Dann öffnete er abrupt die Augen. Sie war blond gewesen. Er war sich vollkommen sicher.
    Aber das bedeutete gar nichts. Viele Männer standen auf blonde Frauen.
    Jetzt fasste der Seemann ihn ins Auge. »Hübsche Jungs. Sind die nicht schon zu alt für den Markt? Die Käufer wollen kleinere Kinder.«
    George drehte sich der Magen um. Neben ihm ballte Jack die Fäuste. Zwischen seinen Fingern hindurch fiel ein Blutstropfen auf den hellen Streifen Stoff, der seine Hände fesselte.
    Reiß dich zusammen
, betete George.
    »Spezialanforderung«, sagte Richard.
    Der Seemann verzog das Gesicht. »Hab ich noch nie kapiert.«
    »Solange ich dafür bezahlt werde.« Richard spuckte abermals aus.
    Gefolgt von Jack, kletterte George ins Boot und starrte den Seemann am Strand an.
Nenn deinen verfluchten Namen
.
    Der Seemann grinste. »Hallo, meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Name ist John Drayton. Ich werde heute Nacht Ihr Captain sein.«
    Ein heißes, unsichtbares Messer fuhr George in die Magengrube. Die Welt färbte sich rot. Die Vernunft sagte ihm, dass das an den Kapillargefäßen in seinen Augen lag, die sich infolge des erhöhten Blutdrucks erweiterten, doch die Vernunft meldete sich aus einem abgelegenen Hirnwinkel, also brachte er sie vollends zum Schweigen. Großmutter war tot, und der Schweinehund, der ihr Sohn und sein Vater war, verdiente sein Geld als Captain im Auftrag ihrer Mörder. John Drayton handelte mit Menschen. Er hatte seine Kinder verlassen, um sich am Elend anderer zu bereichern. Er hätte seine Mutter ebenso gut eigenhändig töten können. Er war für ihren Tod verantwortlich.
    »Ich heiße Sie zu Ihrer Inselkreuzfahrt an Bord der
Intrepid Drayton
willkommen. Sie werden die Blauhaie bemerken, die unserem Schiff folgen. Wenn Sie Probleme machen, binden wir Ihnen ein Seil um den Hals und werfen Sie über Bord. Blauhaie spielen gerne ein bisschen mit ihrem Mittagessen. Wenn Sie sich benehmen, müssen sie Hunger leiden. Ich persönlich hoffe, Sie machen Ärger – ich liebe ein wenig Unterhaltung. Zur Aufmunterung während einer langweiligen Seereise.«
    Um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, musste er seinen Vater töten.
    Magie prickelte beruhigend auf seiner Haut. Sein Herz schlug langsamer.
    »Setz dich zu mir, George«, rief Charlotte. Ihre Stimme wirkte wie ein kalter Guss auf seine brennende Wut. »Bitte.«
    Er zwang sich dazu, sich umzudrehen. Sie saß auf dem Boden der Barke, ihre Hand lag ruhig auf Jacks Unterarm. Sein Bruder ließ den Kopf hängen, der braune Haarschopf hing ihm ins Gesicht. Mit jedem Atemzug entrang sich ihm ein krächzender, angestrengter Laut, ein gedämpftes, beherrschtes Knurren. Sein Bruder stand kurz davor, seine Menschengestalt zu verlieren.
    Aber sie mussten noch etwas erledigen. Sie mussten zu dieser Insel, seine Rache hatte zu warten. Seine Beine fühlten sich an wie Holz. Er konnte sich nicht bewegen.
    Da traf ein Holzknüttel seine Kniekehlen. George ging zu Boden.
    »Setz dich verdammt noch mal hin!«, rief einer von Jasons Sklaventreibern.
    »Ah, wie ich sehe, haben wir da den ersten Kandidaten für die Haifischfütterung«, rief sein Vater. »Noch einmal, Junge, und ich schmeiße dich höchstpersönlich von meinem Deck.«
    George zwang sich, neben Charlotte zu sitzen, die mit regloser Miene zusah, wie die übrigen Sklaven an Bord gingen.
    »Unsere Zeit wird kommen«, sagte sie. In ihrer Stimme lag ein Anflug von Gefährlichkeit. »Lange müssen wir nicht warten.«

8
    Charlotte schloss die Augen und lauschte dem Wellenschlag gegen den Schiffsrumpf. Vor zwei Stunden hatte man sie in den Frachtraum gebracht, die Sklaven voran, dann erst die Sklavenhändler. John Drayton war ein vorsichtiger Mann, der seine freiwilligen Passagiere ebenso unter Verschluss nahm wie die unfreiwilligen. Richard und Jason waren die einzigen an Deck verbliebenen Männer.
    Jack und George saßen in der Nähe des Schotts auf dem Boden. Jack ließ die vor Anspannung steifen Schultern hängen. Seit sie an Bord gekommen waren, hatte er kein Wort gesprochen, aber sie hatte seinen Blick gesehen. Etwas

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