Seelentraeume
nervt.«
»Dann halt dir die Ohren zu.«
Die Lichtbögen magischer Blitze nahmen zu. George öffnete die mitgebrachte Schachtel, in der eine einzelne Glasblase lag. Er schraubte sie auf, entnahm ihr eine von winzigen Wimpern aus Metall eingefasste gläserne Linse und klemmte sie sich ins Auge. Die feinen Metalltentakel gerieten in Bewegung, suchten und verbanden sich schließlich mit seinen Nerven. Schmerz bohrte sich ihm ins Hirn, als hätte ihm jemand einen Holzspan ins Auge getrieben. Die Apparate des Spiegels vermochten Unglaubliches, aber man musste stets dafür bezahlen. Er schüttelte den Kopf und blickte auf. Die Brigantine war jetzt deutlich zu erkennen, als stünde er direkt davor. Er sah die geschnitzten Schiffswände und die schlanken Linien der Takelage. Wenn dieser Kahn sich an die Gepflogenheiten der adrianglianischen Seefahrt hielt, würde der Schiffsname irgendwo am Bug zu finden sein. Neben ihm knurrte Jack. »Wollen wir noch länger wie die Idioten hier liegen bleiben?«
»Ja, wollen wir.«
Vom Heck bis zum Bug zuckte ein Blitz über das Deck, flackerte über die Bordwände und tauchte das Schiff in helles Licht. Auf diesen Moment hatte er gewartet. Er folgte dem Blitz mit den Augen.
»Das ist nicht richtig«, meinte Jack.
»Wir bleiben hier.«
Der grüne Funke beleuchtete den mit großen, schwarzen Buchstaben an den Bug geschriebenen Namen und verlor sich in der Dunkelheit. George schnappte nach Luft.
Nein. Nein, er musste sich verlesen haben.
Also wartete er auf den nächsten Blitz.
»George, atmen«, brummte ihm Jack ins Ohr.
Der Blitz kam und erhellte die Buchstaben aufs Neue. Da stand noch immer dasselbe. George fror plötzlich. Es gab nur zwei Möglichkeiten, und beide gefielen ihm nicht.
Also musste er noch mal hinschauen.
»Was zum Henker hast du?«, zischte Jack.
Die Magie schlug Funken von der Bordwand, und er las den Namen noch einmal, nun zum dritten Mal, und jeder Buchstabe bohrte sich wie ein Dolch in seine Eingeweide.
George riss sich die Linse aus dem Auge. »Wir müssen da runter!«
»Aber du hast doch gesagt, wir sollen hierbleiben.«
Rückwärts glitt er von der Düne und setzte zum Spurt Richtung Strand an.
Jack schloss zu ihm auf. Hinter den »Sklaven« gingen sie erneut zu Boden. »Warum?«, flüsterte Jack kaum hörbar.
George hielt einen Augenblick inne und wog Jacks Recht, Bescheid zu wissen, gegen sein explosives Temperament ab. Wenn Jack es mal wieder vermasselte, würden sie nie auf dieses Schiff gelangen.
Er verdiente es, die Wahrheit zu erfahren. Also lieber hier und jetzt.
»Weil das Schiff da
Intrepid Drayton
heißt.«
Jack prallte zurück. Er überlegte einen Moment, dann rasteten die Zahnräder in seinem Kopf ein. Er stellte die Verbindung zwischen ihrem Nachnamen und dem Schiffsnamen her. Seine Augen schlugen Funken. »Haben die Dad umgebracht?«
»Weiß nicht.«
»Verkauft Dad Sklaven?«
»Weiß ich nicht.«
»Er hat uns im Edge Wurzeln schlagen lassen, damit er Sklaven verkaufen kann?« In Jacks Stimme lag ein gefährlicher Unterton.
George packte seine Schulter. »Reiß dich zusammen. Wenigstens so lange, bis wir an Bord sind und wissen, was genau da abgeht.«
Jack zog den Kopf ein, um den Gestaltwandlerglanz in seinen Augen zu verbergen, und sog durch die Nase Luft ein.
Sie würden nur eine Chance haben. Die Boote mussten so nahe herankommen, dass Richard keine Gelegenheit mehr hatte, etwas gegen ihre Anwesenheit zu unternehmen, aber noch so weit entfernt sein, dass die Seeleute nichts von dem Tumult mitbekamen.
George holte tief Luft.
Das erste Boot krängte in die Dünung. Die Besatzung sprang heraus.
Jetzt.
George stürmte los. Jack folgte ihm. Sie stürzten sich unter die Sklaven und schoben sich hinter Charlotte.
»Was zum Teufel macht ihr hier?«, knurrte Richard leise.
Er drehte sich nicht mal um. Der Mann hatte offenbar Augen im Hinterkopf.
»Planänderung.« George riss einen Streifen aus seinem Hemd und wickelte ihn als »Handfessel« um Jacks Hand.
»Zurück mit euch«, fauchte Charlotte.
Richard stieg vom Pferd, ging auf George zu und zog Handschellen aus seiner Tasche. Dann standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Richard musterte den Jungen aus der Höhe seiner zusätzlichen zehn Zentimeter. Ein wütendes Funkeln, in dem so viel Bedrohliches lag, dass er damit einen Aufstand hätte ersticken können. George hielt seinem Blick stand. Heute wollte er keinesfalls zurückweichen.
»Du hast mir dein Wort
Weitere Kostenlose Bücher