Seelentraeume
Sie also nicht, mich herabzusetzen, Sie sind hoffnungslos deklassiert. Ich kann erkennen, dass es Ihnen an so ziemlich allem mangelt, an gutem Geschmack ebenso wie an Tugendhaftigkeit. Sie haben sich mit dem niedrigsten Verbrechen eingelassen. Sie haben Mord, Vergewaltigung und Kindesmisshandlung begünstigt. Ihr Betragen ziemt sich nicht für eine Reichsebenbürtige.«
Richard wäre fast zusammengezuckt.
Die Frau wich zurück, ihre Wangen färbten sich rot. »Bitte, ersparen Sie mir die Rhetorik. Wir sind Menschen von höherer Art. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Doch Sie setzen lieber Scheuklappen auf und nennen das Altruismus. Ich nenne es vorsätzliche Ignoranz. Einige von uns sind Blaublütige, weil unsere Vorfahren sich über ungewaschene Herdentiere erhoben haben. Sie waren Lehnsherren, Oberhäupter und Anführer ihres Volkes. Die sich vom Rest durch Tugend, Begabung und Willenskraft unterschieden. Und wir sind ihre Nachkommen. Sie haben die Macht erobert, und wir bewahren sie. So einfach ist das. Diese Menschen leben wie die Tiere. In vielen Fällen kann ihnen gar nichts Besseres passieren, als ihrer Freiheit beraubt zu werden.«
Charlotte starrte sie an. »Ein Adelstitel verpflichtet dazu, den Menschen zu dienen. Sieben Blocks von hier hängt die Leiche eines Jungen, dem man die Augen ausgestochen und den Mund zugenäht hat. Er hat noch gelebt, als ihm das angetan wurde. Was stimmt nicht mit Ihnen? Sind Sie überhaupt ein Mensch?«
»Ein bedauerliches, aber notwendiges Opfer.« Die Buchhalterin verschränkte die dünnen Arme vor ihrer Brust. »Aber Sie haben recht, vielleicht hätten wir ihn bei seiner reizenden Familie lassen sollen, wo er im Dreck lebte, während seine Eltern sich in dem Bemühen, ihre Trägheit zu vergessen, um den Verstand soffen und ihn jedes Mal verdroschen, wenn er sie an ihre Niedertracht erinnerte. Die Leistungsträger tun etwas. Sie stellen etwas dar im Leben. Die leben nicht im Elend, stopfen sich nicht mit billigem Essen voll, ergeben sich nicht der Sucht und setzen nicht brünstig noch mehr von ihrer Sorte in die Welt. Wir bewahren die Kinder davor. Wir erweisen ihnen einen wertvollen Dienst.«
Unfassbar.
Charlotte gab einen erstickten Laut von sich.
»Ihre Verachtung bedeutet gar nichts«, fuhr die Buchhalterin fort. »Dieses Unternehmen wurde von einem weit klügeren Kopf als Ihrem oder meinem erdacht. Überlegen Sie, ein hübsches, junges Mädchen, das von einem Blaublütigen gekauft wird, hat es im Leben viel besser. Wenn sie schlau ist, steigt sie auf, indem sie ihm ein Kind gebärt. Erst kürzlich haben wir einen Sonderauftrag für ein kinderloses Paar erfüllt. Die beiden wollten ein Zwillingspaar zwischen zwei und vier, das ihnen ähnlich sehen sollte. Haben Sie eine Ahnung, wie schwierig es war, passende Kinder zu finden? Trotzdem ist es uns gelungen. Die Sklaverei bietet viele Möglichkeiten. Sehr bedauerlich, dass Sie das nicht einsehen.«
Nichts, was Charlotte oder Richard sagen mochten, würde diese Frau zur Vernunft bringen.
»Töten Sie sie«, verlangte Charlotte. »Wenn Sie es nicht auf der Stelle tun, erledige ich es selbst.«
»Wir benötigen Ihre Zeugenaussage und Informationen.« Er näherte sich dem Tisch. Er hatte keine Ahnung, wie sie mit einer Gefangenen den Hügel hinunter und zum Hafen gelangen sollten, aber, bei allen Göttern, er würde es versuchen.
»Sie müssen mich gar nicht umbringen.« Die Frau reckte ihr Kinn. »Im Unterschied zu Ihnen weiß ich, was ich dem Speer schuldig bin.«
Sie griff nach ihrem Anhänger.
Richard wollte sie aufhalten.
Der Stein gab unter dem Druck ihrer Finger knirschend nach. Ein Dorn aus blendendem Licht traf ihr Kinn, durchbohrte ihren Schädel und trat am anderen Ende wieder aus.
Charlotte schnappte nach Luft.
Die Buchhalterin sackte zusammen, ihr Kopf fiel schlaff zur Seite. Das Ganze dauerte weniger als eine Sekunde. Sie hatte eine Owner’s Gift-Halskette getragen. Er hätte es bemerken müssen, um Himmels willen.
Knirschend kam die Welt zum Stehen. Richard fühlte sich, als würde er stürzen.
So viel Zeit, so viel Arbeit, und dieser arrogante Abschaum brachte sich um. Gab es denn keine Gerechtigkeit mehr?
Vielleicht dass Charlotte … Er wirbelte zu ihr herum.
»Sie ist ziemlich tot«, sagte sie mit angewidertem Gesicht. »Nichts zu machen.«
»Verdammt.«
Mit schwirrendem Kopf versuchte er sich über die neue Lage klar zu werden. Sich im Gefühl der Niederlage zu suhlen brachte einen nie
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