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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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weiter. Er hatte sich ohnehin etwas vorgemacht. Selbst wenn es ihnen gelungen wäre, sie lebend in die Hände zu bekommen, hätte keiner von ihnen sie in ihrem gegenwärtigen Zustand zum Schiff schaffen können; und wenn es ihnen wie durch ein Wunder doch irgendwie gelungen wäre, hätte sie nie im Leben ausgesagt. Aber es war noch nicht vorbei, rief er sich ins Gedächtnis. Noch nicht. Auch wenn sie die Buchhalterin nicht lebend erwischt hatten, hatten sie immer noch ihr Büro und alles, was darin war.
    Dem Speer schuldig
. Dazu fiel ihm nur
ein
Speer ein. »Gaesum«, dachte er laut. Das Symbol der königlichen Familie von Adrianglia.
    »Das würde ihre Ergebenheit erklären«, meinte Charlotte. »Wenn sie der Krone zu dienen glaubte, konnte sie natürlich nicht zugeben, dass sie etwas Niedriges tat, sonst wäre für sie eine Welt zusammengebrochen.«
    Sie blickten einander an. Die Krone wurde in Adrianglia verehrt. Die Macht der Königsfamilie war durchaus begrenzt, doch der Monarch saß immer noch dem Rat vor und übte einen Großteil der exekutiven Macht aus. Die Königsfamilie galt als Inbegriff guten Betragens und persönlicher Ehre. Und es war undenkbar, dass die Krone in den Sklavenhandel verwickelt war.
    »Es muss eine Spur geben. Die Frau war Buchhalterin, da müssen doch Unterlagen existieren.« Richard schritt zu den Regalen, zog einen Stapel Bücher heraus und reichte sie Charlotte. Sie blätterte darin, während er den Schreibtisch durchwühlte. Die Durchsuchung der Schubladen förderte eine Holzschachtel zutage. Unverschlossen. Darin lagen Halsketten aufgereiht, jede mit einem schlichten großen Edelstein unterschiedlicher Farbe. Aber im Unterschied zu dem Anhänger der Buchhalterin hingen diese an kurzen Ketten. Hatte man sie einmal umgelegt und geschlossen, ließen sie sich nicht mehr einfach über den Hals ziehen.
    »Hat sie sich damit umgebracht?«, fragte Charlotte mit spröder Stimme.
    Er nickte. »Man nennt sie Owner’s Gifts.« Er nahm eine der Ketten und ließ den falschen Rubinanhänger baumeln. »Man gibt sie jungen, gut aussehenden Sklavinnen, die der sexuellen Befriedigung dienen. Man kann sie genau einmal schließen, danach lassen sie sich nur noch abnehmen, wenn man die Kette zerstört. Die Anhänger sind leicht magisch aufgeladen und können den Träger bei Bedarf töten. Wenn die Kette zerstört oder der Anhänger beschädigt wird, fliegt dem Träger das Ganze um die Ohren. Eine pointierte Erinnerung daran, dass das Leben, falls man nicht gehorcht oder Missfallen erregt, von einer Sekunde auf die andere enden kann.«
    Charlotte biss die Zähne zusammen, Richard las in ihrer Miene eine Mischung aus Entsetzen und Ekel. »Jedes Mal, wenn ich denke, die Grenze wäre erreicht, schockiert mich dieser Ort aufs Neue.«
    Ja, genauso war es, dachte Richard. Er hatte geglaubt, sie würde abstumpfen, stattdessen schlug ihr jede weitere Grausamkeit eine neue Wunde. Wieder wünschte er sich, sie nicht hierher gebracht zu haben. Ein Mensch konnte nur eine begrenzte Anzahl Verletzungen überstehen.
    »Was halten Sie hiervon?« Charlotte zeigte ihm ein ausgehöhltes Buch.
    In ihm regte sich Hoffnung. »War denn etwas darin?«
    »Nein.«
    Also starb die eben erst geborene Hoffnung wieder. »Dann müssen wir weitersuchen.«
    Zwanzig Minuten später blickten sie einander über den Schreibtisch hinweg an. Das Büro war ein Chaos. Sie hatten nichts unberührt gelassen. Falls es so etwas wie Hauptbücher gab, waren sie ihnen entgangen.
    Richard stützte sich auf den Tisch. Abermals überkam ihn ein Schwindelanfall. Der letzte war erst Minuten her, doch schon kehrte das Schwindelgefühl zurück. Die Wunden forderten ihren Preis.
    »Richard«, sagte Charlotte.
    Er drehte sich um.
    In der Tür stand eine blutige Gestalt, Haare und Kleidung mit Blutspritzern und Ruß verklebt. Die Augen des Jungen blickten müde, und er trug ein blutverkrustetes Brecheisen. Neben ihm hechelte ein riesiger schwarzer Hund.
    »Jack?«, sagte Richard.
    »Hi.« Jack ließ die Metallstange fallen, die klappernd auf dem Boden landete.
    »Wie geht es dir?«, fragte Charlotte.
    »Gut«, antwortete der Junge dumpf. »Aber für mich ist Schluss mit lustig. Ich finde, wir sollten zurück zum Schiff. Die Stadt brennt, die Flammen kommen in diese Richtung, der Qualm kitzelt mich schon im Hals.«
    »Wir können hier noch nicht weg.« Charlotte seufzte. »Wir haben überall gesucht, die Hauptbücher aber trotzdem nicht gefunden. Wir müssen

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