Seelentraeume
Küste hinter sich lässt und aufs offene Meer hinausfährt, das kann ich dir sagen. Ringsum nur Wasser, meilenweit nichts als saphirblaues Wasser, Wind und Himmel. Da schmeckt man die Freiheit. Da locken Abenteuer und Geheimnisse.«
Er war gut.
»Und Jack?«
John zuckte die Achseln. »Was soll mit ihm sein? Jack ist ein guter Junge. Er ist nicht durchgedreht wie der Rest seiner Art.«
»Seiner Art?«
John kam noch näher. »Ach, komm schon, George, wir wissen doch alle Bescheid. Rose ist von mir, du bist von mir, aber Jack war nie mein Kind. Um zu sein, was er ist, musste ein Elternteil ein Gestaltwandler sein, und in meiner Familie oder der deiner Mutter gab es keine Gestaltwandler. Ich habe das geprüft. Mein Vater war keiner, meine Mutter auch nicht …«
George versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen.
»Ihre Eltern waren keine Gestaltwandler, und auf der Seite deiner Mutter hat es schon seit drei Generationen keine mehr gegeben. Deine Mutter war kein schlechter Mensch, aber sie hatte Probleme. Meinst du denn, es wäre leicht gewesen zu erleben, dass sie für jeden dahergelaufenen Schweinehund die Beine breit gemacht hat? Das hat wehgetan. Richtig übel wehgetan, aber ich habe mich damit abgefunden. Und das solltest du auch. Immer hast du auf Jack aufgepasst. Rose und deine Großmutter haben dir das aufgehalst, ich fand das unfair. Jeder verdient mal ’ne Auszeit, Georgie. Jeder. Komm mit mir. Jack kann selbst auf sich aufpassen. Und später, wenn du mal größer bist und ich in den Ruhestand gehe, kannst du mein Nachfolger werden. Dieses Schiff trägt nicht bloß
meinen
Namen, sondern auch deinen.«
Nein, das tut es nicht
. George blickte John ins Gesicht und erkannte kalte Berechnung. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er tot sein würde, sobald sie abgelegt hatten. Später würde man seine Überreste finden, die mit aufgeschlitzter Kehle und von Fischen angefressenen Gliedern auf den Wellen dümpelten.
Mein eigener Vater
.
»Danke, aber ich mache bereits Karriere.«
»Was für eine Karriere?« Demonstrativ musterte John seine Lumpen. »So wie du aussiehst, springt dabei nicht allzu viel heraus. Ich will dich nicht beleidigen, Junge, aber du kannst mehr aus dir machen. Oder sprichst du etwa von diesen Banditen da drüben? Nicht gut. Wir haben euch in der Gegend von Kelena aufgelesen, also handelt es sich entweder um Rook, die Familien oder um Jason Parris. Nein, es muss Parris sein, weil die Familien es besser wissen und Rook seine Schau lieber selber abzieht, aber ich habe ihn nirgends entdeckt. Ich habe recht. Parris ist ein gefräßiger Hai, ein Halsabschneider. Kannst du einen Mann töten, Georgie? Denk lieber darüber nach, denn wenn du zu ihm gehörst, musst du ein eiskalt berechnender Killer sein.«
»Ich gehöre nicht zu Jason Parris.« George lehnte sich zurück.
»Und zu wem dann?«
George griff in seinen Ärmel, löste die mit Klebeband an seinem Unterarm befestigte Münze und warf sie ihm zu. »Zu denen, die die gefräßigen Haie fangen.«
John fing die Münze. Die magische Ladung kribbelte in seinen Fingern. Er zuckte. Die Oberfläche verschwamm und verwandelte sich in einen winzigen Spiegel. Alle Agenten trugen einen solchen Spiegel bei sich. Manche als Ringe, andere als Ohrringe, wieder andere in einem Messergriff. Er hatte sich für eine Münze entschieden. Es erschien ihm passend.
John starrte sein Spiegelbild an. Das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Dann ließ er die Münze los wie glühende Kohle.
»Ich bin Unteragent Dritten Grades, Vater. Angefangen habe ich mit vierzehn. Seitdem habe ich zwölf Einsätze absolviert, zehn Erfolge, zwei Abbrüche. Ich habe sieben Menschen getötet, und ich kann sehr gut mit dem Rapier umgehen. In zwei Jahren, nach dem Ende meiner Ausbildung, werde ich der jüngste vollwertige Agent in der jüngeren Geschichte des Spiegels sein. Zufälligerweise werde ich, nachdem ich die Aufnahmeprüfung mit der höchsten Punktzahl bestanden habe, in zwei weiteren Jahren meinen Abschluss an der Brasil’s Academy machen. Dann steht mir der Weg ins Diplomatische Korps offen.«
John Drayton glotzte ihn erschrocken an.
»Du siehst, Vater, wenn ich also jemals Bedarf haben sollte, den Seemann zu spielen, wird man mir entweder ein Schiff antragen oder ich werde mir eines kaufen. Und da mein Name inzwischen George Camarine lautet und der Herzog der Südprovinzen mich als seinen Enkel betrachtet, kann ich mir sogar eine komplette Flotte leisten. Eine
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