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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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scherzte.
    Dieser Gedanke spornte seine Grausamkeit an. Scherze. Alles klar.
    Die ersten anderthalb Stunden hatte John kein Wort gesagt und vermutlich darauf gewartet, dass George das Reden übernahm: »Wie konntest du uns nur verlassen, Vater?« und »Ich habe mir so gewünscht, dass du zurückkommst, Vater!« Oder auf irgendeinen Hinweis, Anhaltspunkt oder Hebel.
Da kannst du lange warten, Drecksack
.
    Die meisten Menschen vertrugen Schweigen nicht gut, und John hatte auf diesen Umstand gesetzt und verloren. George machte die Stille nichts aus. Schweigen war ein nützliches Werkzeug, seine Agentenführer beim Spiegel hatten es sehr wirksam eingesetzt. Als John endlich kapierte, dass er keine Anhaltspunkte bekommen würde, beschloss er, selbst zu reden und eine Schwachstelle zu finden. Doch George hatte genügend Verhöre des Spiegels mitgemacht, um erahnen zu können, welche Richtung diese Unterhaltung einschlagen würde. John würde versuchen, den Abstand zwischen dem sechs Jahre alten kränklichen Kind, das er verlassen hatte, und dem Sechzehnjährigen vor ihm zu überbrücken.
    »Weißt du noch, was ich zu dir gesagt habe, bevor ich verschwunden bin?«
    Wie ein offenes Buch.
    »Ich habe dir gesagt …«
    »Pass du auf die Familie auf, Georgie. Hab für mich ein Auge auf deine Schwester und deinen Bruder.«
    »… dass du für mich auf deine Schwester und deinen Bruder aufpassen sollst. Das hast du gut gemacht. Jack ist noch am Leben, das ist doch was. War bestimmt nicht einfach, dieses Wunder hinzukriegen.«
    Was weißt du denn schon darüber
?
Was weißt du schon über Jack, über seine Wutanfälle und darüber, dass er keine Ahnung hat, wie die Menschen ticken, oder über Rose, wie sie stundenlang versucht hat, ihn zu überreden, wieder menschlich zu werden? Was weißt du schon, du ekliges Wiesel
?
Du hast keinen Schimmer von unserer Familie. Du wolltest ja auch nichts wissen
.
    »Wie geht’s Rose?«
    Wo warst du, als sie sich für uns den Arsch aufgerissen hat
?
Oh, richtig, da hast du dich an Elend, Vergewaltigung und Leid bereichert
.
    »Fürchtest du dich davor, mit mir zu sprechen, George?« John schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Verdammt, Junge, sag mir, wie es meiner Tochter geht!«
    George zog Lynda ein Stück näher heran. »Mach das noch mal, und ich lasse sie deinen Hals anknabbern, aber schön langsam, einen Biss nach dem anderen. Rose wird sich freuen, wenn ich ihr deinen Kopf bringe.«
    John lehnte sich zurück. Kurz stand ihm Angst ins Gesicht geschrieben. Er verbarg sie rasch, doch George hatte es gesehen. Ja, den Typ kannte er: John würde alles tun und sagen, um physischen Schmerz oder eine Bestrafung zu vermeiden. Mehr als alles andere fürchtete er, zur Verantwortung gezogen zu werden.
    »Das würdest du nicht tun«, meinte John. »Nicht der Georgie, an den ich mich erinnere. Der Georgie, an den ich mich erinnere, war nett.«
    »Der Georgie, an den du dich erinnerst, hatte einen Vater.« Er wusste, dass er nicht auf diesen Köder hätte reagieren dürfen. Zu spät.
    Johns Miene hellte sich auf. »Hast du immer noch. Schau, ich weiß, dass ich es mit euch Kindern vermasselt habe. Und anfangs hatte ich ja auch nicht vor, für mein Geld Sklaven zu verschiffen, ich bin da irgendwie reingerasselt.«
    »Sag bloß. Und wie rasselt man in den Sklavenhandel hinein?«
    »Wie man auch in alles andere reinrasselt.« John breitete die Arme aus. Er wurde jetzt lebhafter, freute sich offenbar, Gesprächsstoff gefunden zu haben. »Man ist abgebrannt, und eines Tages will ein Typ am Hafen wissen, ob man Interesse an leicht verdientem Geld hat.«
    Ja klar, einfach so, wozu sich noch um Kleinigkeiten wie Ehre, Integrität und einen gesunden Nachtschlaf scheren?
    »Leicht verdientes Geld. Eine andere Sorte Geld hat dich nie interessiert, nicht wahr?«
    »He, ich arbeite genauso hart wie jeder andere auch. Ich hatte damals bloß eine Pechsträhne.« John beugte sich vor. »Hör zu, Georgie, was auch passiert, ich bin immer noch dein Vater. Ich hab es ziemlich weit gebracht und wollte nach euch suchen. Ich habe immer gedacht, noch eine Fahrt, noch ein bisschen was auf die hohe Kante, dann höre ich auf. Inzwischen bin ich fein raus, und ich habe diese beschissenen Sklavenhändler satt. Wir könnten von hier verschwinden, weißt du, du und ich. Ich könnte dir beibringen, wie der Hase läuft, dich ins Familiengeschäft einführen. Ich bin ein guter Seemann, Georgie. Das ist schon was, wenn man die

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