Seelentraeume
dann John, schließlich George, mit Lynda im Schlepptau.
Draußen stieg George der Gestank von Qualm in die Nase. Die Inselstadt brannte lichterloh, das Orangerot der Flammen spiegelte sich im Hafenbecken. Ein reinigendes Feuer, fand George. Und eine Warnung. Richard hatte Jason Parris wie einen Tornado auf die Insel losgelassen. Die Nachricht vom Brand des Marktes würde sich verbreiten, und schon bald würde jeder Sklavenhändler an der Ostküste wissen, dass er nicht unbesiegbar und sein Scheck nicht mehr gedeckt war. Ein brillanter Schachzug. Richard war der geborene Taktiker. George würde sich daran erinnern müssen.
Hinter ihm flog die Kajütentür auf, und Jack tauchte auf.
Richard trat an ihn heran. »Ich möchte, dass du für mich auf Charlotte aufpasst. Sie hat sich etwas übernommen.«
»Wieso ich?«, fragte Jack.
»Weil es in Jasons Mannschaft von üblen Kerlen wimmelt und sie alleine und verletzlich ist.«
Jack sah zuerst Richard an, dann George. So ganz kaufte er ihm das nicht ab.
»Kannst du auch mal was machen, ohne dich lange herumzustreiten?« George warf seine Mähne zurück. »Mach’s einfach, ja?«
»Du machst es.«
»Du bist mir noch was für den Kanal schuldig.«
Jack grollte leise.
»Keine Sorge«, entgegnete Richard. »Ich habe das nicht vergessen.«
Vergessen? Was?
Achselzuckend verschwand Jack in der Kajüte.
»Ins Boot.« Richard deutete auf eine kleine, neben dem Schiff dümpelnde Barke. Vermutlich waren sie damit an Bord gekommen.
Sie stiegen ein, Richard vorne, dann John Drayton, George schubste zur Sicherheit Lynda an Bord. Alle setzten sich. George nahm hinten Platz, strich mit der Hand über den Motor und löste die magische Kettenreaktion aus, worauf das Boot durch das Hafenbecken zur Küste tuckerte. Auf halbem Weg ließ George Lynda los. Sie kippte sachte in die Wellen und versank zur ewigen Ruhe in der kühlen, wohltuenden Tiefe. Er brauchte sie nicht mehr. Eine halbe Minute später pflügte das Boot auf den weichen Sandstrand. Die beiden Männer stiegen aus. George folgte ihnen.
»Du beschützt immer noch deinen Bruder«, stellte John fest.
In diesem Moment brach sich die lange zurückgehaltene Frustration Bahn. »Halt die Klappe. Du kennst ihn doch gar nicht. Also sprich auch nicht über ihn. Wegen dir ist unsere Mémère tot. Gut, dass sie bereits tot ist – wenn sie gewusst hätte, was aus dir geworden ist, hätte sie es nicht überlebt.«
John holte Luft. »Schön. Bringen wir’s hinter uns.«
Richard zückte sein Schwert.
»Das ist meine Sache«, sagte George. »Meine Familie, meine Schande.«
John zuckte zusammen.
Richard streckte das Schwert aus. George nahm es. Die schlanke, rasiermesserscharfe Klinge wog schwer in seiner Hand. Der Griff war kalt. Er konzentrierte sich, leitete seine Magie wie einen Strom aus geschmolzenem Metall durch seinen Arm in seine Finger, in das Schwert und schließlich an der Schneide entlang. Die Klinge schlug weiße Funken. Er hatte Monate gebraucht, um das zu lernen, und nun hüllte die Magie das Schwert wie von selbst ein.
Er konnte sich nicht überwinden, die Waffe zu heben.
George saß in der Falle zwischen Schuld und Pflicht. Die Unentschiedenheit schmerzte, noch mehr, sich entscheiden zu müssen. Er war so wahnsinnig wütend auf seinen Vater, dass er ihn zu dieser Entscheidung zwang. War er denn dermaßen schwach?
»
C’est la différence entre lui et toi
.« Richard wechselte in die Sprache von Louisiana.
Das ist der Unterschied zwischen ihm und dir
.
»Wenn du das Schwert gegen ihn erhebst, lässt du ihn deine Handlungsweise diktieren«, fuhr Richard auf Gallisch fort. »Du reagierst auf das, was er schon getan hat. Wir sind mit den Menschen, die wir töten, auf ewig verbunden. Wenn du sein Leben jetzt beendest, wirst du seine Leiche für den Rest deines Lebens mit dir herumtragen. Dein Bruder und deine Schwester werden in dir immer den Mörder ihres Vaters sehen. Und auch du wirst im Spiegel einen Mörder anschauen. Wenn er bei euch geblieben und dich oder deine Nächsten missbraucht hätte, könnte sein Tod womöglich reinigend wirken. Als ein Zeichen für einen Neuanfang. Aber dieser Mann ist ein Fremder. Du kennst ihn kaum. Sein Tod von deiner Hand macht dich nicht stärker. Und er hat kein Recht, über dein Leben zu bestimmen. Lass dich durch
deine eigenen
Handlungen definieren.«
Er hatte recht. John Drayton zu töten brachte ihm nichts. Und wenn er es trotzdem tat, wurde er es später bereuen. Es
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