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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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würde ihn auffressen. Es gab keinen Grund, sich dieselbe Last aufzubürden, vor der er Jack bewahren wollte.
    George nickte und ließ das Schwert langsam sinken.
    »Kannst es nicht, wie?« John grinste. »Bin eben trotzdem noch dein Vater, Junge.«
    Seine Stichelei reichte bereits als Beweis, dass seine Ermordung falsch sein würde. »Nein«, erwiderte George. »Das bist du nicht. Du bist nur ein Schwein, das mit meiner Mutter geschlafen und sich anschließend verdrückt hat.«
    Richard zog eine Schusswaffe aus seinen Kleidern, ein großes, schweres Ding aus dem Broken. Dann drehte er sie um und hielt sie John mit dem Griff voran hin.
    »Du bist frei und kannst gehen.«
    Was?
    John Drayton war ein Mörder, Folterer und Vergewaltiger. Wenn sie ihn gehen ließen, würde er sie bei der nächsten Gelegenheit ans Messer liefern. Und er würde weiter rauben, Menschen verletzen und sich an ihrem Elend bereichern. Das musste hier und jetzt aufhören, damit er die Welt seines Bruders und seiner Schwester nicht verdunkeln konnte.
    George wandte sich Richard zu.
    »Vertrau mir«, bat Richard. »So ist es am besten.«
    John nahm die schwere Waffe und wich ein paar Schritte zurück. »Geladen.«
    »Sechs Kugeln«, nickte Richard.
    »Mehr als genug.«
    John hob die Waffe. Georges Blick folgte dem schwarzen Lauf, der ihm groß wie der einer Kanone vorkam. Alles ringsum erstarrte. Die Welt wurde kristallklar, und George sah alles mit minutiöser Genauigkeit: die einzelnen Blätter der Palme hinter seinem Vater, die Schweißperle an Johns Schläfe, die roten Äderchen in seinen Augen …
    Als die Sicherung gelöst wurde, dröhnte der Laut in seinen Ohren, als hätte ein Vorschlaghammer seinen Schädel getroffen. Er wusste, die Kugel würde ihn genau zwischen den Augen treffen. Dass er dem Tod ins Auge blickte.
    »Du bist ein Idiot«, sagte John zu Richard.
    »Er ist dein Sohn«, gab Richard zurück. Er sprach ruhig. So ruhig.
    Er musste etwas tun, erkannte George. Er musste …
    »Ja, das.« John verzog das Gesicht. »Tja, tut mir leid, Junge, dass
du
von mir bist, habe ich auch nie geglaubt.«
    John drückte ab. Ein weißer Blitz schoss aus der Waffe und fuhr John tief in die Brust. Er krampfte lautlos, wie eine an unsichtbaren Fäden zappelnde Marionette, und fiel in den Sand.
    George spürte, wie er die Schwelle zwischen Leben und Tod und zu seiner Domäne überschritt.
Es ist vollbracht, Mémère. Es ist vollbracht. Er wird keinem mehr wehtun
.
    Ihn überkam Erleichterung, unmittelbar gefolgt von Scham. »Wie?«
    »Owner’s Gift-Kette«, antwortete Richard. »Ich habe statt einer Kugel einen Stein in die Kammer geladen. Als er schoss, ist der Stein gesprungen und hat seine Magie freigesetzt.«
    »Und wenn er gegangen wäre?«
    »Hätte ich ihn aufgehalten und den Stein rausgenommen.«
    George hätte nicht zu sagen vermocht, ob das eine fromme Lüge zu seinen Gunsten oder die Wahrheit war. Erleichterung über John Draytons Tod brach sich Bahn.
Was sagt das über mich aus
?
    Richard legte ihm einen Arm um die Schulter. »Er ist gestorben, wie er gelebt hat. So war er nun mal.«
    »Ich habe auf ihn gewartet.« George erkannte die heiseren, gedämpften Laute kaum als seine eigene Stimme. »Jahrelang habe ich auf ihn gewartet. Während Rose ihren Scheißjob im Broken erledigte, saß ich auf der Veranda, hab auf sie gewartet und mir vorgestellt, ich sähe ihn auf unser Haus zukommen. Dass er mich mit einem strahlenden Lächeln ansehen und zu mir sagen würde: Komm, George, fahr mit mir zur See. Lass uns zusammen auf Schatzsuche gehen.«
    Tränen traten ihm in die Augen. Doch er hielt sie zurück. »Er wollte mich überreden, meinen Bruder im Stich zu lassen. Und er wollte mich umbringen. Ich habe ihm in die Augen gesehen, sie waren kalt, wie die von einem Haifisch.« Am liebsten hätte er wie ein Kind geweint und getobt.
    »Was er getan hat oder was aus ihm geworden ist, ist nicht deine Schuld«, sagte Richard. »Er war ein erwachsener Mann und selbst für seine Sünden verantwortlich. Alles, was er in seinem Leben getan hat, hat ihn hierhergeführt. Völlig klar, dass er abdrücken würde. Das war so unvermeidlich wie der Sonnenaufgang.«
    George starrte ihn an. »Ich hätte es tun sollen. Ich hätte dem … ihm … ein Ende machen sollen.«
    »Das meinst du jetzt, in der Hitze des Gefechts, weil du deinen Vater vor dir siehst und an seine kriminelle Hinterlassenschaft denkst. Du bist tief beschämt. Du möchtest reinen Tisch machen

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