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Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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und seine Fehler berichtigen, aber ihn zu töten hätte sie nicht ungeschehen gemacht«, sagte Richard. »Mein jüngster Bruder hat unsere Familie verraten, weshalb Verwandte von uns gestorben sind. Seine Neffen, Nichten, Kinder, Menschen, die ihn geliebt und sich um ihn gesorgt haben. Er hat das Brot mit uns gebrochen, hat Freude und Leid mit uns geteilt, und dann hat er uns verraten. Er war ein zutiefst selbstsüchtiger Mensch und hat zugeschaut, wie unser Vater ermordet wurde. Er war verletzt und wollte Rache. Etwas anderes hat ihn nicht interessiert. Ich habe ihm in die Augen gesehen, als er mir sagte, dass er es mit Absicht getan hätte, und es war, als würde ich einem Wildfremden in die Seele blicken.«
    »Was wurde dann aus ihm?« Die Antwort schien aus irgendeinem Grund lebenswichtig zu sein.
    »Wir haben ihn gezwungen, mit uns in die Entscheidungsschlacht zu ziehen. Ich habe ihn auf dem Kampfplatz erlebt. Ich dachte, ich sei schuld, weil er
mein
Bruder war und er die Familie in Gefahr gebracht hatte. Doch schließlich wurde mir klar, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Ich hätte ihn töten können, beschloss aber, mich einfach umzudrehen und zu gehen. Ich habe schon viele Leben beendet, aber ich bin erleichtert, seines verschont zu haben. Als die Schlacht zu Ende war, lag er nicht unter den Toten, also treibt er sich noch irgendwo herum.«
    Richard beugte sich zu George herab und sah ihm in die Augen. »Dein Vater ist selbst für sein Schicksal verantwortlich, und das hat ihm am Ende das Genick gebrochen. Es war ihm bestimmt, hier von eigener Hand zu sterben. Keine Reue, George. Weder Schuld noch Scham. Lass alles an diesem Strand hier zurück. Wenn du nicht loslässt, wird es dich vergiften. Komm jetzt, wir müssen zum Schiff zurück.«
    Richard ging mit ihm zum Boot. Dann sausten sie über den Hafen zum Schiff zurück.
    Richard stieg an Deck. George verschwand vor ihm in der Kajüte. Richard drehte sich um und betrachtete das Inferno auf der Insel. Orangerote Flammen wüteten und entließen öligen, schwarzen Qualm in den Himmel. In der Ferne verhallten Schmerzens- und Wutschreie. Linkerhand sank langsam ein Schiff, das einsame Gefährt, das dem Gemetzel zu entrinnen versucht hatte. Jasons Geschütze hatten vom Fort aus eine einzige Salve abgegeben und die stattliche Yacht mit einem Streifschuss getroffen. Die magiebetriebenen Pumpen hatten den Kahn noch eine Weile über Wasser gehalten, den Kampf aber allmählich doch verloren, und schließlich war das elegante Schiffchen gekentert und diente jedem zur Warnung, der sich auf die Schnelle absetzen wollte.
    Ungefähr so muss es in der Hölle aussehen
.
    Eine kleine Flottille verließ den Kai und flitzte über das Wasser. Die magischen Motoren hinterließen blass leuchtendes Kielwasser. Jasons Crew kam zurück.
    Hinter Richard flog die Tür der Kajüte auf. »Richard!«
    Er drehte sich.
    Charlotte stapfte auf ihn zu, ihre Wut hielt sie aufrecht, stand ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie beinahe leuchtete. Auf der Insel hatte sie ihre sämtlichen Reserven verbraucht. Sie konnte sich in der knappen Zeit, die sie zum Strand und zurück benötigt hatten, unmöglich erholt haben. Richard beschlich Besorgnis. Wenn sie nicht aufpasste, würden die Strapazen sie umbringen.
    »Haben Sie zugelassen, dass dieses Kind seinen Vater tötet?«
    Ihre Wut versetzte ihn in Erstaunen.
    »Antworten Sie, Sie herzloser Bastard.«
    Dieser Ort, diese Hölle auf Erden, hätte ihr den Rest geben müssen. Charlotte hätte längst aufgeben, sich dem Entsetzen und der Erschöpfung ergeben müssen. Doch dann hatte sie vermutlich George leiden sehen und sich zu dieser Konfrontation hinreißen lassen. Sie würde niemals Kompromisse machen, erkannte Richard, würde niemals abstumpfen oder ihre Entschlossenheit einbüßen. Und mochte sie an noch so vielen Leichen vorüberkommen, es würde ihr immer etwas ausmachen. Sie besaß jenen Edelmut, nach dem er selbst strebte und der ihm so schmerzlich abging. Sie war weder naiv noch blind, sondern unterschied ungeachtet des Preises, den sie dafür bezahlen musste, zwischen richtig und falsch.
    Er wollte diese Frau mehr als alles andere auf der Welt. Das Leben mit ihr würde nicht leicht sein, aber es würde ihn mit Stolz erfüllen.
    Er wollte sie so sehr, dass es fast wehtat.
    In seiner Vorstellung brach das Schiff auseinander. Mit ihm auf der einen und ihr auf der anderen Seite des Risses. Und zwischen ihnen alles, was er

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