Seelenverkäufer
Nein, mit der Geschichte mußte ich schon selber fertig werden — und hinterher hat es mich auch gefreut, daß ich den Fredi nicht eingeweiht hatte. Denn keine vier Wochen später kam es heraus, weshalb er den großen Max spielen konnte; er hatte nämlich die Portokasse beklaut und hinterher in seiner Gemeinheit versucht, die Schandtat auf die jungen Leute von Bittrich & Söhne abzuwälzen.
Ich kam zu Hause an, als Mutter das Abendbrot schon abgetragen hatte. Vater knurrte mich an, wo ich mich so lange herumgetrieben hätte? Ich sagte ihm, ich wäre am Bahnhof gewesen und hätte sogar einem Herrn den Koffer getragen. Und zum Beweis, daß ich es nicht umsonst getan hatte, zeigte ich ihm die fünfzig Pfennig, die mir die Witwe Spanner geschenkt hatte. Und da sagte er: »Hut ab, du bist doch ein ganz tüchtiger Kerl und wirst es im Leben zu etwas bringen; da kann ich ruhig die Augen zumachen.« Und wie er das sagte, schämte ich mich doch und wäre am liebsten mit meinen Neuigkeiten herausgeplatzt. Aber da fuhr er im gleichen Atemzug fort: Wenn ich noch einmal so lange ausbliebe, daß er seinen Kohl selber austragen müsse, dann würde er mir eins zwischen die Hörner hauen, daß ich die Engel im Himmel singen hören konnte. Das verstockte mich natürlich wieder, und so behielt ich meine Geheimnisse für mich.
Ich schlang die dicke Kartoffelsuppe hinunter, die Mutter mir warm gestellt hatte, und fragte so nebenbei, mit einer Kopfbewegung zum roten Zimmer hin, ob es etwas Neues gegeben habe; aber die Eltern antworteten, es wäre so gewesen, als ob es gar keinen C. B. im Hause gäbe. Da gähnte ich und tat, als ob ich sehr müde sei, und ging mit einem Gute-Nacht-Wunsch in mein Zimmer. Es war stockfinster darin, aber ich war es gewohnt, mich im Dunkeln auszukleiden und mein Bett zu finden, denn natürlich kannte ich das Zimmer wie meine Hosentasche.
Es stand ein altdeutsches Büfett darin mit bunten Glasfensterchen im Aufsatz, ferner mein Schlafsofa, ein schwerer Eichentisch mit vier Stühlen, unterm Fenster die Nähmaschine von meiner Mutter, und schließlich noch eine Truhe, in der sie lauter Flicken und Lappen aufbewahrte. Wie ich mich nun auf die Truhe setzte, um die Schuhe abzustreifen, sah ich, daß durch einen Spalt zwischen Türrahmen und Füllung, ganz oben über dem Schrank, den wir auf Wunsch von C. B. vor die Tür gerückt hatten, ein dünner Lichtstrahl in mein Zimmer fiel, fingerlang und schmal wie ein Messerrücken. Aber das ist ja klar, wo eine Ritze ist, durch die Licht einfällt, da kann man auch durchsehen — und diese Entdeckung machte mich heiß. Die Ritze in der Tür zog mich an wie ein Magnet einen Nagel. Drüben rührte und regte sich nichts. Ich lauschte minutenlang, aber es war nicht das geringste Geräusch zu hören. Da hielt ich es vor Neugier nicht mehr aus und schlich wie eine Katze so leise mit einem Stuhl zum Büfett, stieg lautlos auf die Anrichteplatte und preßte das Gesicht gegen das Holz.
Und da sah ich ihn mit einem erschreckend veränderten Gesicht, ein Buch auf den Knien, direkt unter der Lampe sitzen. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre vor Schreck vom Stuhl gesprungen und hätte mich verraten — denn C. B. starrte geradewegs so durchdringend auf die Ritze, durch die ich ihn beobachtete, als sähe er durchs Holz hindurch und als hätte er mich hinter der Tür schon längst entdeckt. Weiß der Himmel, ob ich nicht aufgeschrien oder sonst irgendeine Dummheit gemacht hätte, wenn ich nicht so gelähmt gewesen wäre, als sei mir plötzlich das Blut in den Adern zu Eis erstarrt. Und so stierten wir uns gegenseitig an, starr und stumm, er wie eine Figur aus Stein und ich zu Eis gefroren; zwei oder drei oder noch mehr Minuten lang, die mir wie Stunden vorkamen.
Bis ich dann merkte, daß er mich keineswegs entdeckt hatte, sondern, wenn man so sagen darf, völlig weggetreten war. Auch mein Vater stierte manchmal abends, wenn er in seinem Lehnstuhl saß, so ins Leere; und wenn man ihn dabei aufschreckte, dann mußte er dreimal über die linke Schulter spucken, sonst kriegte er am nächsten Tag einen Spürgel an der Lippe.
Na schön, aber so etwas von Geistesabwesenheit wie beim C. B. hatte ich noch bei keinem Menschen gesehen. Es konnte einen fast ein wenig grausen. Fast meinte man, er wäre fort, und nur sein Körper säße da, schlaff und blutleer wie ein Leichnam, vor mir unter der Lampe. Seine Arme hingen reglos wie Glockenseile von seinen Schultern herab. Das Kinn lag
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