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Seelenverkäufer

Seelenverkäufer

Titel: Seelenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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ihm beinahe auf der Brust. Aber am erschreckendsten war sein Gesicht mit den leeren Augen, von denen man nur das Weiße sah — eine leere Maske, ein richtiges Idiotengesicht. Ich hatte das Gefühl, seine Seele sei aus dem Körper gefahren und befände sich tausend Meilen weit weg, so weit entfernt, daß man fürchten konnte, sie habe sich verirrt und fände den Weg zu ihm überhaupt nicht mehr zurück. Ich glaube, ich hätte mit dem Stuhl umfallen oder die Türfüllung einschlagen können, ohne daß er von alldem das geringste bemerkt hätte.
    Die Ritze in der Tür war zu schmal, um das ganze Zimmer überblicken zu können. Eine von den geheimnisvollen Kisten stand neben dem Zeichenbrett und war halb ausgeräumt. Ihr Inhalt lag auf dem Fußboden und auf dem Tisch, von dem meine Mutter die rote Samtdecke abgenommen und im Schrank verwahrt hatte. Wenn ich Schätze zu sehen gehofft hatte, so erlebte ich eine Enttäuschung, denn Vater hatte recht gehabt: der Inhalt der Kiste bestand aus nichts anderem als aus Büchern, Zeichenblöcken, Broschüren, Heften, Notizblocks und Zeichengeräten. Das Zeichenbrett stand auf dünnen Stativbeinen gerade unter der Lampe. Den neuen Papierschirm, den Mutter extra besorgt hatte, weil der alte schon ganz löchrig und ziemlich schwarz von Fliegendreck gewesen war, hatte C. B. abmontiert.
    Mit vier Reißstiften war ein frisches Blatt auf das Brett gespannt, und auf dem schmalen unteren Rand lag griffbereit ein ganzes Arsenal von Zirkeln, Kurvenschienen, Winkelmessern und verschiedenfarbigen Tinten. Andere Blätter, die an die Wände geheftet waren oder auf dem Boden herumlagen, waren so dicht übersät mit lauter grünen, blauen, roten und schwarzen Linien und Kurven, daß einem ganz schwindlig werden konnte. Was sie zu bedeuten hatten, hätte wohl auch ein studierter Mann nicht sagen können; um so weniger wurde ich mit meinem Mittelschulabschluß daraus schlau.
    Bei der Totenstille im Hause hörte ich die hellen Schläge der Küchenuhr. Es war neun. Und so hatte der C. B. eine volle Stunde lang in seiner Leichenstarre verharrt, und ebenso lange hatte ich es auf meinem nicht gerade bequemen Horchposten ausgehalten. Ich wollte mich schon ins Bett schleichen und hatte dem C. B. längst innerlich Abbitte getan, daß ich ihn für einen Banknotenfälscher oder für noch etwas Schlimmeres gehalten hatte, als ich bemerkte, daß er mit den Augen blinzelte, genauso wie die hypnotisierten Hühner, die man manchmal auf dem Jahrmarkt in einer Schaubude zu sehen bekommt. Auch seine Finger begannen sich zu schließen, seine Brust hob sich, und das Leben kehrte in seinen Körper zurück. Plötzlich hob er den Blick und griff mit den Händen in die Luft, als zöge er etwas Unsichtbares zu sich nieder. Sein Gesicht straffte sich und wurde so hell wie eine schöne Flamme. Es war wahrhaftig eine wunderbare Verwandlung, die mit dem Mann vor sich ging: als würde auf ein leeres Blatt Papier plötzlich in wunderbaren Farben ein Bild hingezaubert, und Leben kehrte in sein Gesicht zurück, als würden hinter seiner Stirn zuckende Lichter angezündet.
    »Ja«, sagte er ganz laut und klar, »so geht es weiter! So muß es sein! Das ist der richtige Weg. Mein Gott, die Aufgabe ist fast zu groß für einen Menschen allein. Aber so kann ich es schaffen...« Das klang, als staune er über sich selbst. Irgend etwas Ungeheures mußte über ihn gekommen sein, irgendeine Erleuchtung. Dann sprang er hastig auf, als fürchte er, seine Gedanken zu verlieren, und stürzte sich mit einer Arbeitswut über das leere Blatt auf seinem Zeichenbrett, als müsse er an einem Tag ein ganzes Haus entwerfen. Seine Hand flog wie eine Schwalbe in Kreisen und Kurven über das Papier, und dabei seufzte und stöhnte er laut, rief mal den Herrgott an und mal den Teufel. Ich kann nur sagen, es war schwer zu unterscheiden, wann er erschreckender anzusehen war: wenn er tot dasaß oder wenn er arbeitete.
    Ich hatte von Leuten, die es im Leben allein mit dem Kopf schaffen wollen, genauso wie mein Vater, keine allzu gute Meinung gehabt, wenn ich sie auch nicht wie er vollends für Tagediebe hielt. Aber ich meine, selbst mein Vater hätte sich anders besonnen, wenn er den C. B. bei der Arbeit beobachtet hätte.
    Ich habe einmal im Hafen zwei Stauer gesehen, wie sie ein Klavier an Bord trugen. Das ist wohl eine verdammt anständige Leistung für zwei Mann, acht Zentner vom Pier eine Rampe hochzuhieven, ohne abzusetzen. Die beiden waren hinterher auch

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