Seelenverkäufer
ziemlich erschossen und japsten nach Luft wie die Karpfen. Aber als der C. B. nach etwa anderthalb Stunden den letzten Strich zog, den Bleistift fallen ließ und sich aufrichtete, da taumelte er wie ein Betrunkener. Kalkweiß und ausgeblutet war er im Gesicht und so ausgepumpt und fertig mit seinen Kräften, daß er sich zitternd mit erloschenen Augen zum Lehnstuhl tastete und wie ein leerer Sack hineinfiel.
»Stück für Stück«, murmelte er, »verfluchter Schneckengang!« Und dann wieder: Es sei zuviel für einen allein, und er würde noch daran kaputtgehen. Und dabei drohte er dem Zeichentisch mit der Faust und gab einem Buch, das vor ihm auf dem Boden lag, einen wütenden Fußtritt. Schließlich schlug er sich mit der Faust auf den Bauch und knurrte ganz verzweifelt: »Ach, meldest du dich auch schon wieder, du elender Kadaver?«
Ja, das klingt, wenn man es erzählt, eigentlich fast komisch, und doch waren es genau seine Worte, und der verzweifelte Grimm, mit dem er sie herausstieß, ging mir damals durch Mark und Bein. Er tat mir richtig leid, aber ich habe ihn auch bewundert, weil ich mir dachte: Was für ein Mann! Und was für eine Arbeit muß das wohl sein, wenn er sich ihretwegen nicht einmal die Zeit gönnt, wie ein Mensch zu leben! Elend und verfallen sah er aus, gespensterhaft blaß, und die Adern auf seinen Händen zeichneten sich wie blaue Striche ab. Um den Hunger zu betäuben, zündete er sich eine Zigarette an, aber seine Hände flatterten vor Erregung oder vor Schwäche so sehr, daß die Zündholzflamme fast seine Fingerspitzen briet, ehe der Tabak Feuer gefangen hatte. Auf seiner Stirn klebte Schweiß. Er wischte ihn mit dem Ärmel fort, und als er ein paar tiefe Züge genommen hatte, schien ihm besser zu werden.
Er stand auf, trat noch einmal vor seine Zeichnung hin und fuhr fast zärtlich mit den Fingerspitzen darüber. Dann drückte er die Zigarette aus und verschwand für kurze Zeit aus meinem Gesichtsfeld. Als er wieder zu sehen war, trug er Mantel und Hut. Ich stieg lautlos vom Stuhl herunter und schlich zur Truhe zurück, um meine Schuhe anzuziehen, denn es war ja klar, er wollte ausgehen, und ich war entschlossen, ihm unbemerkt zu folgen.
Kurz darauf hörte ich auch schon, wie er seine Tür leise öffnete, auf den Flur hinaustrat, geräuschlos an meinem Zimmer vorüberglitt und die Haustür aufsperrte. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Im Schlafzimmer der Eltern hörte ich den Vater schnarchen. Von ihnen war also keine Entdeckung meines nächtlichen Ausflugs zu befürchten.
Hier in unserer Gegend waren die Straßen nachts ausgestorben. Ich fürchtete schon, C. B., der mit hochgeschlagenem Mantelkragen und tief herabgezogenem Hut rasch davonging, könnte entdecken, daß ihn jemand verfolgte. Deshalb blieb ich immer mindestens fünfzig Schritt hinter ihm und drückte mich dicht an den Häusern entlang, um sofort im Dunkel eines Torwegs zu verschwinden, falls er sich umdrehte. Die große Uhr über dem Laden von Bindewald ging auf zwei. Außer letztes Silvester war ich noch nie so spät auf der Straße gewesen.
Wir näherten uns rasch der Innenstadt. Dort war es von den vielen Bogenlampen und erleuchteten Schaufenstern noch taghell, und es waren auch noch eine Menge Menschen auf der Straße, obwohl die Lokale längst geschlossen hatten.
Für den Besuch einer Nachtbar war der C. B. nicht passend angezogen, und es war mir deshalb schleierhaft, wo er um diese Zeit noch etwas zu essen auftreiben wollte. Er ging wie ein Mann, der sein Ziel kennt, und daß dieses Ziel schließlich die Bude eines Wurstsieders war, enttäuschte mich denn doch ein wenig. Weiß der Himmel, was ich mir für ein Abenteuer erhofft hatte. Ich strich in einer Entfernung um die Bude herum und sah, daß der C. B. von einem Pappteller heiße Würstchen aß und eine große Semmel hinterherstopfte. Dann ließ er sich von dem Wurstfritzen noch etwas einpacken und machte sich eilig wieder auf den Heimweg. Als ich bemerkte, daß er schnurstracks nach Hause gehen würde, rannte ich eine Abkürzung und lag schon im Bett, als der C. B. die Haustür aufsperrte. Und dann schlief ich, wie von einem Holzhammer auf den Kopf getroffen, auch sofort ein. Von der Jakobikirche schlug es drei.
6
Zwei Tage vergingen. Ich schleppte meine Geheimnisse mit mir herum, postierte mich nachts hinter dem Spalt in der Verbindungstür und schaute dem C. B. eine Weile zu, aber nicht mehr die halbe Nacht hindurch und auch nicht mehr aus purer
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