Seelenverkäufer
natürlich, daß Dienstmann zu sein, vor allem mit Standplatz am Bahnhof, kein schlechter Posten ist. Aber so dick haben die es auch nicht, daß sie zwanzig Mann freihalten können. Und was die zehn Kollegen von Nummer sechzehn betrifft, in deren Mitte er an der Theke stand, die glühten schon alle wie die Koksöfen, so kräftig hatten sie auf seine Kosten eingeheizt. Plötzlich ahnte ich, woher das Geld dafür stammte: denn nach Lotteriegewinn sah die Festlichkeit durchaus nicht aus. Und ganz genau erfuhr ich, woher der Segen kam, als Nummer sechzehn zu einer Art Ansprache an seine Saufkumpanen ansetzte; er kam damit aber nicht weit, weil ihn ein fürchterlicher Schluckauf plagte. »Schlau muß man sein!« rülpste er. »Köpfchen muß man haben... Und die Kunden zappeln lassen... das treibt die Preise...«
Da war mir klar: Der Dienstmann hatte ihn verraten. Es war also Gefahr im Verzuge für den C. B. Und dann tat ich etwas, was bei Licht besehen eine riesige Eselei war, was sich aber später, weil ein günstiger Stern auch über meinen Dummheiten stand, als guter Griff erweisen sollte. Ohne lange zu überlegen, kaufte ich mir im nächsten Papiergeschäft einen Briefbogen und Umschlag, lief auf unser Postamt und schrieb dort einen Brief, Anschrift: >An Herrn Ingenieur C. B. Johnen, bei Familie Tümmler, Brückenstraße 16.< Und auf den Bogen mit verstellter Handschrift: >Ihnen droht große Gefahr! Der Dienstmann hat nicht dichtgehalten. Ihre Feinde wissen jetzt, wo Sie wohnen! Ein unbekannter Freund.< — Den Brief steckte ich sofort in den Postkasten.
Mein Schreiben kam am nächsten Tag mit der Morgenpost bei uns an, während ich gerade Gemüse austrug. Mutter nahm ihn aus dem Briefkasten und ging damit sofort zu Vater in den Laden: »Nun sieh dir das mal an, Heini«, sagte sie, »da hat Herr Johnen behauptet, er bekäme nie Post, und nun ist doch ein Brief für ihn gekommen.«
»Was wartest du noch?« fragte Vater. »Geh schon und gib ihm den Brief.«
»Du weißt doch, wie er ist, wenn man ihn stört...«
»Herrgott noch mal«, sagte Vater, der gerade pfundweise Äpfel ab wog und in Tüten füllte, »soll ich ihm vielleicht den Brief bringen?«
»Nein, nein, ich geh ja schon«, sagte Mutter und verschwand im Flur.
In diesem Moment kam ich von meinem Botengang nach Hause. Ich hörte, wie Mutter beim C. B. anklopfte und ihm zurief, er möge die Störung entschuldigen, aber es sei für ihn ein Brief angekommen.
»Was!?«, rief er durch die geschlossene Tür. »Ein Brief für mich? Das ist unmöglich!«
Und da ging mir auf, was für einen fürchterlichen Bock ich geschossen hatte. Die Anschrift! Es kannte ihn außer uns doch kein Mensch unter diesem Namen. C. B. Johnen...! Ich verfluchte meine Dummheit, denn natürlich hätte ich den Brief, wenn ich schon unerkannt bleiben wollte, zumindest mit dem Namen adressieren müssen, den er sich bei der Witwe Spanner zugelegt hatte. Aber da öffnete er auch schon die Tür, streckte die Hand durch den Spalt und sagte zu Mutter: »Na, dann geben Sie den Brief mal her.« Und dann schloß er sofort die Tür wieder und drehte innen den Schlüssel um.
Ich stand wie auf glühenden Kohlen und wartete darauf, was sich nun wohl ereignen würde. In diesem Augenblick aber geschah etwas ganz Unerwartetes. Es war eine Wendung der Dinge, die alles, was bisher geschehen war, und mein Leben dazu, in eine neue Richtung treiben sollte. Es läutete nämlich. Das passierte sehr selten bei uns, weil alle Leute, die zu uns kamen, fast immer durch den Laden in die Wohnung gingen. Mutter schob mich zur Seite und ging zur Haustür, um zu öffnen, und da hörte ich eine Frauenstimme fragen: »Ich bin doch hier richtig bei Tümmler, nicht wahr?«
»Ganz recht«, antwortete meine Mutter sehr höflich.
»Dann bitte ich Sie, mich dem Herrn, der bei Ihnen wohnt, zu melden.«
7
Daß meine Mutter, bevor sie heiratete, Köchin bei Senator Rasmussen gewesen ist, habe ich wohl schon erwähnt. Es war eine gute Stellung bei sehr feinen Leuten, und Mutter erzählt heute noch gern davon, wie vornehm es bei Senator Rasmussen zugegangen ist.
Daher kam es wohl auch, daß Mutter sich sehr gewählt und ganz anders als sonst auszudrücken verstand, wenn sie in unserem Laden die bessere Kundschaft bediente, etwa Frau Amtsgerichtsrat Spöcker oder die Frau vom Zahnarzt Greulich. So klang es sehr geziert und ganz ohne die lübische Mundart, mit der sie sonst immer so ein bißchen durch die Nase spricht, als
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