SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
öffnen.
Unwirklichkeit schlug ihr entgegen. Sie saß auf dem Rücken des riesigen Drachens, der über dem Meer schwebte. Unter ihr war eine Welt, die sie zu kennen glaubte, über ihr der Mond, der von vielen anderen Sternen gesäumt in der blauen Schwärze hing wie ein mächtiges Auge.
Nilah spürte die ungezügelte Hitze, die von den Schuppen in ihren Körper herüber flossen. Die Nacht, die still zu verharren schien. Die zerfledderten Wolken, die unter dem Himmelsauge hindurch zogen und mehr als alle andere auf der Welt den Lauf der Zeit beschrieben. Sie waren es, die einem zeigten, dass man nur zu Gast war in einem Raum, der mehr Türen hatte, als man jemals Gedanken haben könnte.
Nilah war gefangen und befreit.
»Das ist so ... wunderschön«, flüsterte sie ehrfürchtig.
Atemlose Stille.
»Das bist ... DU!« Die Stimme des Drachen umrahmte all ihre Blicke, die sie in sich aufzunehmen versuchte und doch war sie ihr so nahe wie ihre eigene Haut. Der Drache ließ die Flügel sinken und fiel. Nilah rauschte durch die Nacht wie ein Stein, der von einem Berg stürzte. Ein langer fast endloser Schrei wehte von ihren Lippen. Das Meer raste ihnen entgegen. Sie hielt sich nur noch fest, ihre Haare wehten hinter ihr her, wie ein Kometenschweif. Ihr Schrei wurde immer schriller, als der Drache die Schwingen öffnete, eine weiche Kurve beschrieb und dann nur Zentimeter über der Wasseroberfläche dahin schoss. Sie schrie und schrie, während der Körper des Drachens so dicht über das Meer flog, dass Nilah die Wellen an seinem Bauch verdampfen hörte. Sie glaubte, ihr Herz schlage nicht länger nur in ihrer Brust, wie eine wilde Trommel, sondern wäre in die Nacht hinaus getreten und erfülle jeden Winkel ihres Leibes, das ganze Königreich, wie ein einziger schlagender Ton.
»DAS IST DEINE ... SEELE!« brüllte der Drache und es war genau das, was Nilah fühlte. Sie war in ihrer Seele. Sie war Zuhause!
Sie breitete die Arme aus und der Wind ließ ihre Hände flattern. So, wie es immer gewesen war, wenn sie diese in einen Sturm gehalten und sie noch so kindlich verwundert über die Kraft des Windes gestaunt hatte.
Der Drache ließ seinen dornigen Schwanz in die Wellen tauchen und hinterließ eine endlos lange Fontäne, als würde ein Düsenjet über das Wasser rasen. Nilah spürte seine gewaltige Kraft, als sich die Muskeln spannten und er sich wieder in den Himmel schwang. Kein Gefühl war je so intensiv gewesen wie dieses.
Die Flügel fauchten in der Luft und trugen sie höher und höher. Der Mond wurde immer größer. Die Wolken darunter wirkten wie frostiger Atem, als sie durch sie hindurch stießen und für einen Moment den Scheitelpunkt alles Erreichbaren zu durchbrechen schienen. Für einen unglaublichen Augenblick hatte Nilah das Gefühl alle Welten zu verlassen. Das Licht des Mondes war so nah, dass sie glaubte, danach greifen zu können. Es strahlte durch ihre Seele wie ein uralter Blick, wie ein ewig vertrauter Geist. Doch als sie die Hand ausstreckte und die Fingerspitzen reckte, um zu fühlen, was sie immer zu fühlen erhofft hatte, sanken sie wieder. Und mit jedem Meter, den sie zurück auf ihr Königreich fielen, verschwand der Wunsch danach es nochmals erleben zu wollen. Dunkle Wolken schoben sich vor den Mond und verhüllten ihn wie mit einem Umhang. Stück für Stück büßte er sein strahlendes Antlitz ein und war kurz darauf verschwunden, als hätte ihn ein anderes, noch wilderes Wesen verschluckt.
Der Drache landete auf einem Berggipfel. Seine Krallen brachen ganze Brocken aus dem Fels und verankerten sich tief in ihm. Wütend schüttelte er den mächtigen Kopf hin und her und schnaubte den Schnee von der Kuppe, der als zischender Dampf in die Nacht stieg.
»Warum nur tust du das immer wieder?« , dröhnte seine Stimme und sie klang resigniert, wie von jemandem, der schon zu viele Dinge gesehen hatte, die niemand hätte sehen sollen.
Nilah ließ sich von den Schuppen heruntergleiten und betrat festen Boden. Sie waren auf einem Felsplateau, das sich über alle anderen reckte, wie ein großer Bruder. Unter ihr, auf schneebedeckten in den Himmel ragenden Gipfeln schimmerte ein Rest Abendlicht, bis auf einen runden Punkt, der weit unter ihr einen See bildete, der alles Licht von sich wies.
»Was tue ich denn?«, fragte Nilah ohne wirklich zu fragen, denn sie formulierte die Worte so, als würde sie keine wirkliche Antwort wollen.
Der Drache löste eine seiner Krallen aus dem Gestein und
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