SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
ein und ließ den Blick über die Bucht wandern. Die Sonne ließ tausende Sterne im einem breiten Streifen über das glasklare, türkisfarbene Wasser zittern. Die weißlichen Felsen verströmten aufgesogene Hitze und den Geruch von trockenem Stein. Eine leichte Brise wehte sanft über ihre Haut und Nilah hätte am liebsten laut gejuchzt, so sehr blühte ihr Herz an diesem Ort.
Hinter einem der Felsen zog sie ihr Kleid aus und tauschte es gegen den Bikini, der ähnlich wie die Robe des Zeremonienmeisters tiefrot und mit weißen Drachensymbolen bestickt war. Er saß wie angegossen. Schnell schlüpfte sie ein Bein nach dem anderen hinein, legte das Oberteil an, breitete das große Handtuch aus und ließ sich einfach fallen.
Mit den Zehen im Sand spielend, das Kleid als Kissen unter dem Kopf gefaltet, genoss sie die Sonne auf ihrem Körper, die durch ihre Haut drang und sich wohlig in ihr breit machte. Sie schloss die Augen und hörte den Wellen zu und merkte gar nicht, wie sie wegdöste. Weiche, schönfarbige Bilder schwebten durch ihre Gedanken. Unermessliche Wälder voller berauschendem Grün, weite, wellige Wüstendünen, klare blaugrüne Seen, weiße, Schnee bedeckte Berge, zwischen denen dunkle Schatten segelten und ihre Flügel über den aufsteigenden Winden spannten – Adler. Ein Gletscher, der sich wie eine eisige Zunge durch ein Tal wälzte, so langsam, dass seine Bewegungen nur in Jahren zu messen waren. Eine Gewissheit ihr eigenes Königreich zu erblicken beseelte Nilah und ließ sie trotz der Hitze eine Gänsehaut bekommen.
Doch dann schlugen die Bilder um, wurden dunkler, als würde man zu allen Farben einige Tropfen Schwarz hinzufügen. Wind kam auf, der Adler verschwand zu einem unbekannten Horst. Über den Seen spiegelten sich graue schwere Wolken und über die Dünen fegte ein plötzlicher scharfer Wind, der den Sand aufwirbelte. Das Meer wurde wilder, tiefer – immer tiefer, dunkler. Nilah starrte hinein und glaubte zu sehen, wie sich etwas darunter der Oberfläche näherte. Immer heller wurde der Schemen und sie bekam Angst. Dann brach etwas durch die Wellen, sie schrie und wachte auf.
Schwer keuchend richtete sich Nilah auf und brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Sie hatte geträumt. Nur geträumt. Sie runzelte die Stirn. Gab es einen Traum in einem Traum? War das möglich? Unruhig stand sie auf und ging zum Wasser. Die Kühle, die um ihre Knöchel spülte, holte sie zurück ins Jetzt. Doch wo war jetzt? Wann war jetzt?
Sie ging tiefer ins Wasser, fühlte den weichen, schlammigen Untergrund und wie sich das Meer um ihren Körper schlang. Der Grund fiel nur sehr langsam ab und sie war schon ein ganzes Stück vom Strand entfernt und war noch nicht einmal bis zu den Hüften eingetaucht. Bunte Fische flitzten um ihre Beine, ein kleiner Kraken beäugte sie hinter einem kleinen Felsen, bereit Tinte zu versprühen und Reißaus zu nehmen. Doch Nilah bewegte sich so vorsichtig, wie sie es immer getan hatte, wenn sie Tieren nahe kam. Sie wollte niemandem weh tun oder ihn verschrecken.
Noch immer war kaum Gefälle zu erkennen, als sie plötzlich vor einem Abgrund stand. Wie eine Treppenstufe für Riesen rutschte der Meeresboden gut zehn Meter in die Tiefe. Hier hatte sich das Wasser vom Türkisen in ein dunkleres Blau verwandelt. Und man spürte, dass es hier kühler war. Eine kalte Strömung strich um ihre Beine. Aber auch hier konnte man noch bis auf den Grund sehen. Verstreute Felsen, fächerförmige Korallen, zwischen denen sich vielfarbige Fische tummelten. Ein großer Mantarochen auf gemächlichem Revierspazierflug warf Schatten über den Boden unter sich. Eine heile Welt, dachte Nilah. War es das? Nur eine heile Welt?
Mit einem plötzlichen Sprung tauchte sie in die Tiefe. Tauchte ohne Hast ein paar Meter, ließ die Luft durch ihre Nase strömen und stieg dann ganz langsam wieder auf. Sie drehte sich auf den Rücken und paddelte mit den Füßen – weiter hinaus und so bekam sie gar nicht mit, dass sich unter ihr ein weiterer Abgrund auftat, der das Wasser jetzt vollends in ein Nachtblau verwandelte. Jetzt konnte man nicht mehr bis auf den Grund sehen. Nicht einmal mehr bis in seine Nähe.
Nilah fühlte, wie das Meer ihren seltsamen Traum endlich wegschwemmte, ihn in ein diffuses Nichts zog und verblassen ließ.
Sie wusste, hier, weiter draußen, konnte die Strömung gefährlich werden. Ihr Vater hatte es ihr oft genug erklärt. Deshalb hatte sie schon schwimmen können, als
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