SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
andere Kinder in ihrem Alter nicht einmal zusammenhängende Sätze sagen konnten.
Nilah ließ sich weiter treiben. Was sollte ihr schon passieren? Hier war sie sicher. Sie fühlte, dass die Strömung mehr landeinwärts und leicht seitwärts lief, also würde sie niemals vom Strand abdriften. Es drohte also keine Gefahr.
Sie blickte hinauf zu den Wolken, die über den blauen Himmel zogen, sanft und träge. Sie lächelte versonnen, schlug die Augen wieder auf – und erschrak heftig.
Über ihr leuchteten die Sterne in einem samtenen Dunkel. Das Meer hatte die Farbe von schwarzer Tinte angenommen, über die ein voller Mond seine Wimpern fallen ließ. Es war Nacht! Nilah fing sofort an, mit den Beinen zu strampeln. Von einem Augenblick zum anderen war es für sie überlebenswichtig den Kopf über dem Wasser zu halten. Sie sah das Ufer nicht mehr. Es gab keine Richtung mehr. Kein links, rechts, vorn oder hinten. Sie sah mit weiten Augen hinab in eine tiefe Endlosigkeit, welche sie hin und her wog – sie trug. Nilah drehte wild den Kopf, aber nirgends war ein Licht. Wo war das Feuer des Leuchtturms? Wo? Wo war der Strand, auf dem ihr Handtuch und ihr Kleid lag, die weißen Felsen? Müssten die nicht das Mondlicht reflektieren? Verdammt, sie konnte doch nicht in einem Traum ertrinken? Noch vor Sekunden hatte sie geglaubt, hier sei sie so sicher wie in einer eigenen Geschichte und nun trat sie Wasser und ihre Beine wurden müde allein davon, dass sie daran dachte.
Die Wellen wurden höher. Sie bekam salzige Gischt in den Mund und musste husten. Plötzlich schwappte alles um sie herum. Wind kam auf. Nilah ruderte mit den Armen. Oben bleiben. Oben bleiben, verdammt. Dann rauschte unter ihr eine heftige Bewegung an ihren zappelnden Beinen vorbei. Ihr Kopf hämmerte. Sie schnappte nach Luft. Angst rauschte in ihren Ohren. Sie vergaß alle Schwimmübungen, alle Techniken, um eine Fünfzig-Meterbahn möglichst schnell zu durchqueren. Sie wollte nur noch am Leben bleiben. Eine große Welle drückte sie herunter und sie schluckte Wasser. Spuckend tauchte sie wieder auf, als erneut etwas an ihren Beinen vorbei rauschte. Nilah schrie und zog die Beine an, aber sofort ging sie wieder unter und musste den Atem endlos anhalten, bis sie wieder fühlte, dass sie über dem Wasser war. Sie erschöpfte sich, das fühlte sie so genau, wie sie die Stimme ihres Vaters hörte, der neben ihr geschwommen war und ihr Lügen aufgetischt hatte: ›Nur noch ein paar Minuten‹. Nilah sah noch immer die Zeiger auf seiner Timex Taucheruhr. Mit aller Kraft hatte sie damals den Kopf über dem blassblauen Wasser gehalten. Unter ihr ein schwarzer Strich, der das ganze Becken durchlief. Ihre Arme waren so schwer geworden, als hätten sich die Adern voller Blei gesogen. Am Ende war sie mehr gestrampelt als geschwommen, aber sie hatte es geschafft! Und ihr Vater hatte stolz auf seine Taucheruhr geblickt und verkündet, dass sie gerade nicht nur den Frei-, sondern auch noch den Fahrtenschwimmer gemacht habe.
Er hatte sie damals betrogen. Das hatte sie nie vergessen.
Doch nun rettete genau dies ihr Leben. Denn Nilah hatte gelernt über Wasser zu bleiben, egal wie, und das tat sie auch. Eine Sekunde nach der anderen.
Plötzlich schien das Meer unter ihr zu leuchten. Es war, als tauche ein helles Antlitz durch die fadenlose Finsternis, von solcher Schönheit, dass Nilahs Herz für einen Moment vergaß zu pochen. Dort, in der Tiefe spannte etwas sehr Großes seine Schwingen. Sie freute sich so sehr, dass sie schrie, als sich das Wesen elegant unter ihr drehte und sie mit nur einem einzigen Flügelschlag aus dem Meer empor hob.
SeelenZauber
Der Drache brüllte in die Nacht hinaus, dass es wie ein langgezogener Donner klang. Nilah krallte sich mühsam an den Schuppen fest, ihre Ohren wurden kurz taub, weil der abrupte Höhenunterschied sie verschloss. Der starke Gegenwind zerrte an ihrem ganzen Körper und sie musste die Augen schließen, weil nur noch Tränen aus ihnen liefen. Ihr Magen hatte sich bis in ihren Hals gewölbt, während ihre Arme zu zittern begannen. Sie fürchtete jeden Moment den Halt und damit ihr Leben zu verlieren.
Ein ›Oh, bitte nicht!‹ hallte wie ein Blitz durch ihren Kopf, als der Drache, wie in einem unsichtbaren Netz mitten im Aufstieg die Flügel drehte und auf der Stelle stehen blieb. Der so plötzliche Ruck katapultierte sie nach vorn, dass ihre Zähne klapperten, als sie endlich den Mut fand, die Augen zu
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