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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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mich bloß im Auge.«
    »Hier« war ein halb verfaulter Baumstumpf neben einer verfallenen Gruft. Sie musste einmal wunderschön ausgesehen haben - aber der Baum ganz sicher auch. Der Engel auf der Gruft hatte die Geisterwoche überlebt; die meisten Statuen auf Friedhöfen waren noch intakt, einfach deshalb, weil die Leute sich zu dieser Zeit gefürchtet hatten, Gräberfelder zu betreten, und die Kirche sie danach sofort abgesperrt hatte.
    Natürlich hatte Chess auch früher schon Darstellungen von Engeln gesehen. Die Archive waren voll davon. Aber dieser hier hatte etwas an sich, das ihr ein Ziehen in der Brust verursachte. Das steinerne Haupt war wie unter der Last erdrückender Trauer gebeugt, die Flügel halb ausgebreitet und die Hände gefaltet. Er sah so friedlich aus. Wie es sich wohl angefühlt hatte, einen so unerschütterlichen Glauben zu haben? Darauf zu vertrauen, dass nach dem Tod etwas Besseres wartete, Frieden und die Vereinigung mit etwas, das größer war als man selbst?
    Natürlich glaubten das die meisten auch heute noch. Die Stadt der Ewigkeit schreckte nicht alle; Chess war der einzige Mensch in ihrem Bekanntenkreis, der sich davor fürchtete. Die Gewissheit eines Lebens nach dem Tod schien den Menschen zu gefallen.
    Aber ... die Symbole der alten Religionen waren so schön, so majestätisch, so voller Kraft und Anmut. Irgendwo hatte jemand gelebt und diesen Engel hier angebracht, weil er wirklich daran geglaubt hatte. Sie streckte die Hand aus und berührte den eiskalten Stein der bröckelnden Mauer. Er vibrierte unter ihren Fingern, so alt war er, so voller Kraft, wie die Erde unter ihren Füßen ...
    Ach ja. Wie die Erde. Wurde langsam Zeit. Was machte sie denn noch hier? Stand hier rum und glotzte eine alte Statue an.
    »Alles klar, Tülpi? Siehst ganz schön blass aus. Willste, dass ich da was ausgrabe?«
    »Mir geht's gut.« Nichts, was ein paar zusätzliche Cepts nicht beheben konnten. Oder Moment mal ... sie hatte noch eine Panda, einen netten kleinen Downer, der einen Tick stärker war als Cepts. Natürlich wollte sie hier nicht einschlafen, aber sie musste einen kühlen Kopf bewahren, bis sie fertig war. Sie zwang sich, die Pille zu zerbeißen, je schneller der Wirkstoff in die Blutbahn gelangte, desto besser. Denn ihr Puls ging wegen der bescheuerten Sexmagie schon doppelt so schnell. »Du kannst mir im Moment nicht helfen. Hier geht’s um so n paar rituelle Sachen, die muss ich selber machen. Bleib, wo du bist.«
    Vanitas Grab lag wie in der Akte verzeichnet etwa in der Mitte der Reihe. Chess musterte die braunen Grasstoppeln, die daraus hervorlugten, entdeckte aber nichts Ungewöhnliches. Gut.
    Hier schmückte kein Engel eine Gruft. Es gab es nur eine von trockenem Efeu überwucherte Steinplatte am Boden. Chess ging um das Grab herum und strich den Efeu beiseite, um sicherzugehen, dass sie am Ziel war. Bingo. Vanita Taylor.
    »Aklamadii paratium revatska «, flüsterte sie und setzte den Fuß auf das Grab.
    Sexenergie züngelte ihr Bein hinauf und drängte sich in jede Leerstelle in ihrem Inneren, füllte sie aus, schwoll an und hüllte sie ein. Die Leere in ihr war zu groß; es überwältigte sie.
    Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie sich hinkniete. Ihre Tattoos brannten und kribbelten, und die Symbole auf Stirn und Hals fühlten sich an, als wären sie mit angekokelten Streichhölzern in die Haut geritzt worden.
    Der gefrorene Boden sträubte sich gegen den Spaten und machte das Graben zur Tortur. Besonders quälend war, dass sie trotz der Wirkung der Panda und der einsetzenden Muskelentspannung immer noch Gänsehaut hatte, ihr Herz noch immer galoppierte und die Haut am ganzen Körper schweißig war. Wenn sie in diesem Tempo weitermachte, würde sie morgen noch graben, verdammt. Die beste Friedhofserde fand man in etwa sechzig Zentimeter Tiefe — niemand wusste, warum. Sie war sich nicht sicher, ob sie das schaffen würde.
    Mit jedem kläglichen Schäufelchen Erde, das sie beiseiteschippte, nahm die Energie an Stärke zu; bei jeder Schaufel kribbelten ihre Muskeln heftiger, und es fiel ihr zunehmend schwerer, sich zu beherrschen, während ihr immer schmerzlicher bewusst wurde, dass Lex nur vier Meter von ihr entfernt saß und unter seiner Kleidung nackt war. Es spielte keine Rolle, dass sie jetzt ernsthaft ins Schwitzen kam, dass ihr das Haar an der Stirn klebte und ihr Mund wie ausgedörrt war. Wer immer Vanitas Verbündeter war, er war gut. Mächtig.
    »Shaska leptika

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