Seelenzorn
...«
»Vorgestern Nacht. Er hat doch gesagt, vorgestern Nacht, oder? Vorgestern - hast du dich mit ihm getroffen? Hast du ihn in der Nacht getroffen, nachdem ich ... bist du von mir zu ihm ...«
Die Scham zerriss ihr fast das Herz. Er hatte es gehört. Er hatte alles mitgehört. Hatte alles mit angesehen und wusste, was sie getan hatte. Sie wünschte sich beinahe, dass er sie jetzt schlug, sie einfach schlug, damit das geklärt war. Vielleicht würde er sich danach besser fühlen. Vielleicht würde sie sich dann auch besser fühlen.
»Seit Monaten«, stieß er hervor. Seine Wut war wie Krallen auf nackter Haut. »Schon seit Monaten, Chess. Und da sagst du mir, du brauchst Zeit.«
»Aber es ist nicht wie bei ... Er bedeutet mir nichts. Ich mag ihn nicht mal besonders ...«
»Ist schon ’ne ziemlich kranke Art, jemanden nich zu mögen. Warum zum ... oh. Oh nein, nein, du wirst doch nicht ...« Er hob die Hand, fuhr sich an den Mund, dann langsam in den Nacken, bevor er innehielt. »Du hast in den letzten Monaten nich mehr so viel bei Bump gekauft. Seit der Chester-Sache. Haben geglaubt, du trittst ’n bisschen kürzer, aber letzte Nacht hat’s nich so ausgesehen, als würdest du viel kürzer treten, hm?«
Sie antwortete nicht. Konnte nicht antworten. Sie zitterte am ganzen Körper, versuchte das zu stoppen, indem sie die Arme um sich schlang, aber es half nichts. Sie wusste, was in ihm vorging. Was er als Nächstes sagen würde.
»Fickst du ihn für die Drogen? Spionierste für die, oder was? Und fickste ihn wegen der Drogen? Er hat dich ... hat dich zu seiner verdammten ...«
Er stürzte sich auf den reglosen Lex. Chess sprang vor, fiel ihm in den Arm und umklammerte ihn an Hals und Brust. Es war, als wollte sie versuchen, ein ganzes Gebäude niederzuringen. Er verströmte Hitze; am liebsten wollte sie sich darin einigeln und so tun, als wäre nichts von all dem geschehen. Sie wollte ihn anflehen, sie mit nach Hause zu nehmen und all das zu vergessen. Sie fürchtete sich nicht mehr davor, nicht jetzt, wo sie kurz davor stand, alles zu verlieren. Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich überhaupt zu fürchten? Was war denn nur los mit ihr?
Sie krallte sich in seine Jacke, während sie das Gesicht an seiner Brust vergrub. Er erwiderte die Berührung nicht, sondern stand unbewegt mit angespanntem Körper da. »Das stimmt nicht«, stieß sie hervor. »Ich bin nicht... das stimmt nicht ... ich bin ... ich bin keine Hure. Bin ich nicht ... bitte, bitte.«
Sie gab sich keine Mühe mehr, noch weiterzureden. Inzwischen weinte sie ohnehin zu heftig, um sich noch verständlich zu machen. Sie brachte es nicht mehr über sich, die Lüge noch auszusprechen. Nein, sie verkaufte sich nicht für Drogen an Lex. Im Prinzip.
Aber waren die Drogen etwa nicht der Lohn für ihre falsche Loyalität? Für ihren Verrat? Sie traf sich immer wieder mit ihm, verbrachte ein ums andere Mal die Nacht mit ihm, weil er sie damit versorgte. Wenn es auch nicht der einzige Grund war, so war es doch ein Grund. Sie fühlte sich, als würde ihr gleich schlecht werden. Sie hatte sich geschworen, dass sie wenigstens das niemals tun würde, dass sie sich wenigstens dieses letzte bisschen Selbstachtung nicht nehmen lassen würde, und jetzt war es doch so weit gekommen. Sie hatte es getan.
Und sie hatte es nicht einmal gemerkt.
Sanfter, als sie für möglich gehalten hätte, nahm er ihre Hände und löste sie von seiner Jacke. Er schob sie von sich weg und starrte dabei zu Boden. Er wollte sie nicht mal mehr ansehen. Und sie war froh darüber. Sie wollte nicht, dass er sie so sah.
»Nein«, sagte er. »Nein, Chess, ’ne Hure biste nicht, ’ne Hure ist wenigstens ehrlich.«
Er drehte sich um und ging. Sie sah zu, wie er über den Zaun kletterte und sein breiter Rücken eine Sekunde darüber in der Luft hing, bevor er auf der anderen Seite verschwand und nichts als Dunkelheit zurückließ.
Zwei Stunden später hatte die kalte Dusche ihren Körper so weit betäubt, dass sie sich imstande fühlte, das Bad zu verlassen. Sie hielt sich nicht mit Abtrocknen auf, sodass sie eine Wasserspur hinter sich her zog, als sie ins Wohnzimmer ging, um ihr Pillendöschen zu holen.
Es war noch eine Oozer drin. Das würde vielleicht funktionieren. Außerdem war da noch eine weitere Panda, obwohl die, die sie auf dem Friedhof geschluckt hatte, ja nun wirklich nicht besonders geholfen hatte. Aber wenn sie alles zusammen einwarf, reichte das vielleicht aus,
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