Seelenzorn
Häuser entfernt hockte ein Grüppchen Teenager in einem Eingang und ließ eine Tüte kreisen. Ihr Gelächter klang hässlich durch die Stille.
»Terrible, bitte, lass mich doch erklären ...«
Er schüttelte den Kopf. »Haste ihm irgendwas erzählt?«
»Was? Ich ...«
»Darüber, wo wir gestern hingefahren sind. Haste Slobag davon was erzählt?«
Katie. Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass sie spürte, wie ihr Gehirn im Kopf hin und her geschleudert wurde. »Nein! Nein. Ich schwöre. Ich habe ihm nicht ... so war das nicht. Ich habe ...«
»Wenn du ihm auch nur ein Wort verrätst, bring ich dich um«, sagte er mit so rauer Stimme, dass sie ihn kaum verstehen konnte. »Kapiert? Ich meins ernst.«
»Hab ich nicht. Ich würde nie ...«
»Ist mir egal, was du nie würdest. Wollte es dir nur sagen. Nur, damit du Bescheid weißt.«
Das Schluchzen blubberte ihr aus dem Mund, bevor sie es unterdrücken konnte, und durchstieß die schwere, watteweiche Hülle ihres Rausches. »Bitte, können wir kurz reden? Darf ich dir das bitte erklären?«
Einen Augenblick lang starrte er sie an, als sähe er sie jetzt zum ersten Mal. Vielleicht war es tatsächlich so.
Der Schmerz in ihrer Brust war so verflucht unerträglich. Sie glaubte, sie müsse sich das Herz herausschneiden, damit es aufhörte.
Als er sich zum Gehen wandte, fiel ihr etwas ein. Etwas, das sie unbedingt wissen musste. »Terrible. Hast du ... hast du Bump davon erzählt?«
Er bliebt stehen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Schüttelte den Kopf.
Dicke heiße Tränen liefen ihr über Gesicht und Hals und wuschen die Spuren von Merritts täppischen Lippen ab.
»Danke«, sagte sie.
»Habs nich für dich getan.« Als er ihr über die Schulter einen Blick zuwarf, fiel das Licht der Straßenlaterne auf sein Gesicht. »Meinste etwa, ich will, dass Bump mitkriegt, wie ich alles vermasselt hab? Wo ich ihm noch gesagt hab, dass er dir vertrauen kann? Und da soll er jetzt mitkriegen, dass ich ...« Er schüttelte den Kopf. »Habs nich für dich getan.«
»Ich habe nicht gelogen.« Alles was sie wollte war, dass er weiterredete. Als ob sie sein Vertrauen zurückgewinnen, seine Freundschaft zurückgewinnen könnte, wenn sie nur lange genug mit ihm redete. Vielleicht würde er sie dann wieder wollen. Angst hatte sie jetzt nicht mehr. Mit ihm zusammen zu sein würde ihr keine Angst mehr machen. Aber ohne ihn zu sein, wieder alleine zu sein ... Bei diesem Gedanken gefror ihr das alkoholgeschwängerte Blut in den Adern. »Auf der Brücke. Da hab ich nicht gelogen.«
»Verdammt, Chess, ich bin ja vielleicht nicht so schlau wie du, aber ich krieg schon ganz gut mit, wenn ich benutzt werde, klar?«
»Terrible, du bist doch nicht blö...«
»Nee. Du kannst uns helfen, wenn wir dieses Geisterhaus gefunden haben. Schätze, das wirst du wohl noch hinkriegen, immerhin hilft’s ja auch deinem Lover. Ansonsten ... will ich dich nich mehr sehen. Du und ich, das ist Geschichte, klar? Vorbei.«
Er war fort, noch bevor ihr eine passende Antwort einfiel.
Als sie erwachte, war das Laken um sie geschlungen wie eine Schlange. Verschwitzt und zitternd lag sie auf dem zerwühlten Bett und fühlte sich, als hätte sie gekämpft statt geschlafen. Sämtliche Muskeln taten ihr weh. Sie fühlte sich schmutzig, müde und alt, so unsagbar alt, als wäre sie schon hundert statt nur vierundzwanzig. Als wäre alles Gute, was sich in ihrem Leben jemals ereignen würde, bereits passiert, sodass ihr jetzt nur noch das Warten auf den Tod blieb.
Ohne aufzustehen, legte sie sich eine Line auf den zerkratzten Nachttisch neben dem Bett und sniefte sie, während sie sich wünschte, sie könnte auch ihr Gehirn so nachhaltig betäuben wie ihre Nasenlöcher und Nebenhöhlen. Inzwischen blieb ihr nur die trügerische Ruhe der Pillen; vier kleine weiße Freunde, die ihr Frieden schenkten.
Sie starrte zu den Wasserflecken empor, die sich über die dreckige Zimmerdecke zogen, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte und sich langsam ein gnädiger Nebel auf ihr Hirn senkte. Dann stand sie auf. Unter der Dusche spülte sie sich den Geruch von Merritts Körper von der Haut und zog sich an. Sie tat so, als wäre es ein ganz normaler Tag wie jeder andere auch. Sie tat so, als wäre sie nicht reingelegt worden, als hätte sie nicht ausgerechnet den Menschen beschissen, der ihr am meisten bedeutete, und als hätte sie in der vergangenen Nacht nicht zusammen mit ihren Hemmungen auch gleich noch alles andere
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