Seelenzorn
über Bord geworfen, was eventuell gut für sie gewesen wäre.
Es gab Arbeit für sie. Sie musste noch eine Geistererscheinung zusammenlügen und einen Fall abschließen.
Der Älteste Griffin hatte ihn ihr ganz persönlich übertragen. Und jetzt war sie drauf und dran, ihn zu enttäuschen, genau wie alle anderen, die ihr vertraut hatten. Okay, den einzigen anderen, der ihr vertraut hatte.
Sie starrte sich selbst im Spiegel an und war dankbar für den falschen Glanz, den das Speed ihr vor die Augen zauberte. Sie hatte ihren Job noch. Und selbst wenn er jetzt aus Lügen bestand, wenigstens der blieb ihr noch. Zeit, die Sache hinter sich zu bringen. Einfach die Formulare ausfüllen und einreichen, damit sie wieder nach Hause kommen und sich für den Rest des Tages im Bett verkriechen konnte. Oder gleich für den Rest der Woche.
Oder den Rest ihres Lebens.
Ihr Auto dröhnte unter ihr, als sie auf der halsbrecherischen Fahrt zur Kirche den armen, alten Motor hochjagte, bis die Fenster klirrten. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die weiße Puderschicht machte die Fahrbahn glatt und tückisch. Sie drosselte das Tempo nicht. Vielleicht würde sie ja einen Unfall bauen, einfach die Kontrolle über den Wagen verlieren und in eine Mauer krachen, dann wäre endlich alles vorbei.
Aber so viel Glück hatte sie nicht. Stattdessen legte sie den Weg zur Kirche in Rekordzeit zurück, schlitterte auf den Parkplatz und parkte den Wagen quer über zwei Stellplätze.
Trotz der Kälte lief ihr zu dem Zeitpunkt, als sie das Gebäude betrat, der Schweiß über den Rücken, säuerlicher Speed-Schweiß. Bei dem Wind fühlte sich ihr Gesicht wie eine geschälte Tomate an, so als käme roter Saft raus, wenn sie es anfasste.
Mit klopfendem Herzen blieb sie in der weitläufigen Halle stehen, als ihr das ganze Ausmaß ihrer Misere klar wurde. Sie war im Begriff, die Kirche zu belügen. Und zwar nicht auf die Art, wie sie jeden Tag log, indem sie so tat, als wäre sie genau wie alle anderen. Hier ging es um eine echte Lüge. Eine Lüge, die die Kirche viel Geld kosten würde. Sie hätte am liebsten geschrien, wollte durch den leeren Saal toben, Bänke umwerfen und Löcher in die Wand prügeln.
Sie hatte das alles so satt. Sie hatte es satt, ein Werkzeug in den Plänen anderer Leute zu sein, ein Möbelstück, das man ganz nach Belieben hin und her schieben konnte. Sie war stärker, zäher. Wenn andere dafür sorgten, dass sie sich selbst hasste und an sich zweifelte, ihren stärksten Antrieb konnten sie ihr nicht nehmen.
Sie wollte nicht bloß überleben, sie wollte lange genug leben und stark genug werden, um die ganze Welt anzubrüllen, dass sie sich gefälligst ins Knie ficken sollte. Fletchers Spielchen hatte sie mitgemacht, gut, aber das war das letzte Mal gewesen.
Also öffnete sie die Tür zum Büro des Ältesten Griffin und marschierte mit der Absicht hinein, mit hoch erhobenem Kopf über die Heimsuchung Bericht zu erstatten.
Und dort fand sie ihn hinter dem Schreibtisch zusammengesunken, mit zerzausten Haaren und dunklen Ringen unter den Augen.
»Cesaria«, sagte er. »Wie geht es dir?«
Was war mit ihm los? Er sah von Mal zu Mal schlechter aus, wenn sie sich begegneten, als würde ihn etwas von innen verzehren. »Sehr gut, Sir«, brachte sie schließlich hervor.
»Ich nehme an, du kommst wegen Oliver Fletcher«, sagte er. »Ich habe gesehen, dass du Informationen über ihn angefordert hast. Ich ... ich weiß gar nicht, wie ich mich bei dir entschuldigen soll. Wir dachten, da er nur am Rande mit der Sache zu tun hatte ...«
Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich war von Anfang an dagegen, dir das vorzuenthalten. Ich habe allen gesagt, dass du es rauskriegen würdest, dass sie dich gewaltig unterschätzen. Dass man so wenig Zutrauen zu dir hat, nachdem wir dein wahres Können doch schon zur Genüge bestaunen durften, ist in der Tat eine große Enttäuschung für mich. Aber du ... du hast mich nicht enttäuscht. Nimm doch bitte Platz.«
Oliver Fletcher? Warum redete er von Oliver Fletcher?
Dankbar, endlich sitzen zu können, ließ sie sich auf den gepolsterten Ebenholzstuhl vor seinem Schreibtisch plumpsen. Ihre Beine wollten sie nicht länger tragen. Dafür wollten sie, sobald sie saß, strampeln und zappeln, um die nervöse Energie abzuschütteln, die sich sofort in ihr breitmachte.
»Ich habe in der Tat Auskünfte über ihn angefordert«, sagte sie. In ihrem Kopf ratterte und klackerte es, während sie
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