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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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Zeichen kaum noch auszumachen. Er war wirklich gut; hatte seine eigenen Schutzmaßnahmen getroffen und Chess dabei noch ein paar Tricks gezeigt, auf die sie bisher nicht gekommen war. Wirklich eine Schande, dass er bei der Kirche so in Schwierigkeiten geraten war, dachte sie, und musste ein Lächeln unterdrücken. Noch vor Kurzem war sie überzeugt gewesen, dass sie in Fletcher einen mörderischen Pädophilen und Erpresser vor sich hatte, und jetzt zeigte sich, dass er einfach bloß ein Erpresser war. Jeder hatte so seine Fehler.
    Wenigstens war er jetzt hier. Dafür und für seine Hilfsbereitschaft konnte sie ihm schon fast verzeihen, dass er sie zwang, der langen Reihe von Lügen, die sie der Kirche schon aufgetischt hatte, eine weitere hinzuzufügen.
    Leider war nicht jeder so versöhnungsbereit.
    Terrible hockte auf ein paar Kisten, die am Bordstein herumstanden, streckte die langen Beine von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie musste ihn mit Schutzzeichen und Symbolen bemalen, aber der Gedanke, ihn zu anzufassen ...
    Na gut, das stimmte gar nicht. Sie musste natürlich nicht. Sie konnte, auch Fletcher bitten, sich darum zu kümmern, egal, ob er besoffen war. Die nötige Macht hatte er bestimmt trotzdem.
    Aber sie wollte es. Darum ging es, das war Fakt und Wahrheit. Sie wollte Terrible die Zeichen aufmalen, weil sie ihn endlich wieder berühren wollte. Weil sie sich im tiefsten Inneren einbildete, dass sie ihm alles erklären konnte, wenn sie ihn nur berühren, ihm nahe sein und ihm in die Augen sehen durfte. Dass sie ihn dann zurückgewinnen würde. Selbst wenn er sie nicht mehr begehrte, könnten sie vielleicht einfach wieder Freunde sein. Er fehlte ihr. Nach nur einem Tag fehlte er ihr schon.
    »Erbärmlich«, murmelte sie, aber die Kreide zitterte trotzdem ein wenig zwischen ihren Fingern, als sie sich zwischen seine Beine hockte. »Kopf nach oben.«
    Er hob den Blick und sah dann weg.
    »Terrible. Leg den Kopf zurück. Komm schon.«
    Einen Moment lang saß er stocksteif da, so lange, dass sie sich schon fragte, ob sie vielleicht doch Oliver bitten musste. Dann nickte er kaum merklich, so als habe er eine Entscheidung getroffen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel.
    Er sah sie nicht an.
    Chess biss sich auf die Lippe und beugte sich über ihn.
    Er zuckte zusammen, als sie ihm beim Zeichnen mit der anderen Hand unters Kinn griff. Als schmerzte ihn die Berührung.
    Was vielleicht tatsächlich der Fall war; sie selbst fühlte sich auch nicht besonders wohl dabei.
    Und dann war alles wieder wie früher: der Duft nach Pomade, Rauch und Seife stieg ihr in die Nase, sie spürte, wie das Blut unter seiner Haut pulsierte, hörte, wie er den Atem anhielt und sah, wie sich seine Augen verdunkelten, als er bemerkte, dass sie es mitbekommen hatte.
    Sie kritzelte ihm ein einfaches Schutzsymbol auf die Stirn und konzentrierte sich von da an weniger auf ihn und mehr auf das, was sie tat, während sie so viel Macht wie möglich in die Zeichen fließen ließ. Als Nächstes waren ein paar Runen dran, eine, die ihm Kraft verleihen sollte, und eine, um die Furcht zu vertreiben - natürlich hatte er das eigentlich nicht nötig, aber ihr war es so lieber.
    Sie schob ihm die Linke in den Nacken und fuhr ihm mit den Fingern ins Haar, damit sie ihm den Kopf drehen konnte. Die Kotelette kratzte sie am Handgelenk; ob er wohl ihren Herzschlag spüren konnte?
    Sie drängte sich näher an ihn, dichter, als sie eigentlich gewollt hatte, bis ihr Knie direkt zwischen seinen Beinen steckte und sein Kinn sich beinahe zwischen ihre Brüste schob. Wenn er jetzt den Blick senkte oder auch nur geradeaus sähe ...
    Sie schluckte und arbeitete sich mit der Kreide von den Augenbrauen seitlich über die Wangen vor, wobei sie sämtliche Zeichen anbrachte, die ihr nur einfielen, um so viel wie möglich von der Macht abzuschirmen, der sie gleich gegenübertreten würden.
    Sie umfasste sein Gesicht mit der Hand und verspürte den albernen Wunsch, nie wieder loszulassen. Wie ihr sein Atem so über die empfindliche Haut der Arminnenseite strich, wie er den Mund stumm zusammenpresste und ihrem Blick auswich, konnte sie beinahe so tun, als wäre alles beim Alten. Jetzt, wo sein Körper dem ihren so nahe war, so nahe, dass sein breiter Rücken sie vor dem Wind abschirmte, konnte sie einfach so tun, als wären sie gar nicht hier draußen auf der Straße, sondern irgendwo anders, irgendwo, wo es warm und dunkel war und kühle

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