Seelenzorn
Beutel aus dem obersten Regal anreichte. »Was läuft denn zwischen Ihnen und dem Langen?«
»Wie meinen Sie das?« Sie würde Ricantha und Eibisch brauchen, weil die ohnehin schon benutzt wurden. Etwas Schwarzer Germer wäre auch gut, und dazu noch Melidia und gemahlener Ingwer. Eigentlich ... Sie schnappte sich den Karton, in dem sie die Kräuter und alle anderen Zutaten aufbewahrte, und kippte ihn über ihrer Tasche aus. Ihr Psychopomp, der Schädel im Seidentuch. Kerzen. Schwarze Kreide auf Vorrat für Schutzzeichen. Die Erde aus Vanitas Grab hatte sie bereits. Auch das Messer trug sie bei sich, aber ein zweites für den Notfall konnte nicht schaden, und außerdem musste sie ihr Erste-Hilfe-Täschchen einpacken.
Völlig unnötig war dagegen, die Details ihrer Beziehung zu Terrible - oder was davon noch übrig war - mit dem Mann zu erörtern, der sie ja immerhin noch erpresste.
»Sieht aus, als wären Sie beide mal Freunde gewesen und wären's jetzt nicht mehr. Hat das irgendwas mit diesem Asiaten zu tun?«
»Woher wi...« Ach ja, die Fotos. »Das geht Sie gar nichts an.«
»Wollte nur ein bisschen Small Talk machen.« Scheiße, war der high, oder wie? Ja, natürlich war er das. High und voll auf dem Labertrip. Das wurde ja immer zauberhafter.
»Tja, lassen sie’s lieber.« Sie stopfte die letzten Sachen in die Tasche und machte den Reißverschluss zu. »Gehen wir.«
Draußen war es so kalt, dass sie meinte, an ihren Wimpern würden sich Eiskristalle bilden, trotzdem ließ sie den Mantel in Terribles Auto zurück. Spielte keine Rolle. Nach dem eisigen Schweigen im Wagen konnte sie sowieso nichts mehr aufwärmen; und dann hatte er auch noch Assuck angemacht - eine Band, von der er genau wusste, dass sie sie hasste —, und so laut aufgedreht, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Nicht, dass sie im Moment lange hätte grübeln wollen.
Terrible sah ihr zu, wie sie sich ihre Tasche über die Schulter schwang und ihre Rute vom Boden aufhob, wo sie sie hingelegt hatte. Fletcher blieb im Auto sitzen und schien die Wärme bis zur letzten Sekunde auskosten zu wollen.
Sie konnte es ihm nicht verdenken. Hier an den Docks wehte ein unablässiger Wind, der nach Abwässern, Benzin und brackigem Meerwasser stank. Kein Vergleich mit dem Geruch des Ozeans am Strand, den sie auch schon einmal gesehen hatte ... mit Terrible.
Rasch verdrängte sie die Erinnerung wieder, noch bevor sie richtig Gestalt annehmen konnte, und sah sich auf der stillen Straße um. Merkwürdig. Sie war zwar noch nie hier in der Gegend gewesen - die Einwohner von Downside blieben normalerweise im eigenen Kiez -, aber es sah ganz nach einem Viertel aus, in dem es eigentlich lebendig zuging. In den Häuserreihen gab es eine Absturzpinte neben der anderen, Neonwerbung für Biermarken flackerte in den dunklen Fenstern, aber es war nirgendwo eine feiernde Meute zu sehen. Keine Kids auf der Suche nach Essen, einer Prügelei oder einem Fick. Selbst die Musik, die durch die Straße wehte, wirkte gedämpft.
Aber da war noch etwas anderes ... Ja, hier waren sie richtig. Sie merkte es am Kribbeln ihrer Tätowierungen und der geisterhaften Energie, die ihr wie winzige, verstohlene Fingerchen über die Haut kroch. Mächtig war sie. Mächtig genug, um ihr einen Schauder über den Rücken zu jagen.
»Kommt sonst noch jemand?«
Terrible zuckte die Achseln. »Haste nich bei deinem Lover durchgeklingelt?«
Scheiße. Jetzt hatte sie ihm aber auch echt eine Steilvorlage geliefert, oder? »Er ist nicht mein Lover.«
»Dann eben Zuhälter.«
Autsch. »Ich habe ihn nicht angerufen.«
»Nee? Dachte, du tratschst ihm alles weiter, sobald du was rauskriegst. Oder läuft das nich so bei euch?«
»Nein, da >läuft< überhaupt nichts. Terrible, wenn ich dir das einfach mal erklären dürfte, wenn du nur mal eine Minute ...«
»Vielleicht brauch ich Zeit .«
»Ach ja?« Scheiß auf ihn. Sie musste sich zusammenreißen, sich konzentrieren, und dabei war er echt keine große Hilfe. »Na, dann heb dir das für später auf. Wir haben jetzt was zu tun, klar?«
Nicht schlecht. Sie fand, es hatte sogar echt geklungen und nicht, als hätte sie einen Kloß im Hals, als würden ihre Augen in Tränen schwimmen und als würde sie sich innerlich verschrumpelt und tot fühlen.
Und eigentlich hatte er ja recht. Sie hatte Lex in gewisser Weise Informationen weitergegeben. Keine wichtigen. Nichts, von dem sie nicht geglaubt hatte, dass er es im Interesse aller
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