Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
nicht häufig sehen, ist er in den vergangenen Jahren so richtig in unserer Familie aufgenommen worden.
Kapitel 2: Die ersten Wochen allein
S eit vier Tagen regnet es ununterbrochen. Am Tag nach Heriberts Abreise hat der Regen begonnen und seither nicht wieder aufgehört. Ich stehe in unserer großen leeren Wohnung, sehe aus dem Fenster auf die Straße und überlege, ob ich wirklich in den Supermarkt muss. Ich habe kaum noch Obst, der Salat ist fast alle, und das Brot wird auch langsam knapp. Ich ziehe mir meine Regenjacke über, nehme den Beutel mit den Pfandflaschen und mache mich auf den Weg. Immerhin passt das Wetter zu meiner Stimmung, denke ich. Schlimmer wäre es, wenn die Sonne scheinen würde und ich trotzdem schlecht gelaunt wäre.
Das erste Mal nach Heriberts Abreise allein in den Supermarkt zu gehen ist immer besonders hart. Ständig habe ich das Gefühl, er würde gleich um die Ecke kommen, mit einer Tüte Chips oder einer Tafel Schokolade. Oder ich bilde mir ein, ihn an der Fleischtheke zu sehen. Dort steht er nämlich oft minutenlang mit großen Augen und kann sich einfach nicht entscheiden. Für Heribert ist ein Besuch im Supermarkt das Größte. Es ist eine Art Schlaraffenland, es gibt alles, was sein Herz begehrt. Alles, worauf er monatelang verzichten musste.
Wenn ich allein in den Supermarkt gehe, habe ich immer einen Einkaufszettel dabei und arbeite diesen schnellstmöglich ab. Ich versuche sogar, die gewünschten Produkte schon in der Reihenfolge aufzuschreiben, in der ich im Supermarkt an ihnen vorbeilaufe. Das spart Zeit und Nerven. Heribert hingegen geht am liebsten ohne Einkaufszettel los. »Ich möchte mich inspirieren lassen«, verkündet er dann gut gelaunt und mit einem breiten Grinsen. Er weiß genau, dass mich das rasend macht. Ständig entscheidet er sich um, rennt kreuz und quer durch diese riesige Halle, und wenn wir es dann endlich zur Kasse geschafft haben, fällt ihm immer noch etwas ein, das er vergessen hat und unbedingt braucht.
Jetzt stehe ich allein an der Pfandrückgabe und schiebe gleichmäßig wie ein Roboter Unmengen an Cola- und Spezi-Flaschen in den Automaten. Bei jeder Flasche klickt der Automat, und die Digitalanzeige zählt mit: 16, 17, 18 … Das sind alles Heriberts Flaschen. Ich trinke dieses Zuckerwasser nicht. Es schmeckt mir nicht, außerdem ist es furchtbar ungesund. Heribert hingegen liebt dieses Zeug. Er lässt sich auch nicht davon abbringen.
Als ich am Obststand vorbeikomme, höre ich seine Stimme in meinem Kopf. »Das habt ihr alles uns zu verdanken! Wir Seeleute bringen euch all diese wunderbaren Früchte.« Das sagt er oft, und dabei schwenkt er seine weitgeöffneten Arme. »Ich weiß. Und dafür kann man euch gar nicht genug danken«, antworte ich dann feierlich und gebe ihm einen dicken Dankeschön-Kuss.
Wenn ich allein einkaufen gehe, habe ich fast ausschließlich gesunde Sachen in meinem Korb. Bio-Obst und -Gemüse, Salat, dunkles Brot, Käse, Joghurt, Müsli, Tee. Wenn ich mit Heribert einkaufen gehe, stapeln sich Eis und Schokolade, Popcorn, Chips, Fleisch, Wurst, Pommes und Tiefkühlpizza. An meinen Supermarktquittungen könnte man mit einem kurzen Blick genau ablesen, ob Heribert zu der Zeit zu Hause war oder nicht.
In den vergangenen zwei Monaten habe ich vier Kilogramm zugenommen. Am Tag nach Heriberts Abreise habe ich mich zum ersten Mal gewogen und wäre vor Schreck fast von der Waage gefallen. Mir war klar, dass ich zugenommen hatte, kein Wunder bei dieser Ernährung. Dabei hängt das nicht nur davon ab, was, sondern auch, wie oft ich esse. Wenn Heribert da ist, esse ich auch, ohne Hunger zu haben. Wenn er etwas isst oder abends vor dem Fernseher nascht, bekomme ich sofort Futterneid und esse mit. Aber gleich vier Kilogramm? Das ist Rekord.
Dass Beziehungen auf Dauer dick machen, hört man immer wieder. Gemeinsam kochen und gemeinsam essen gehört zu einer Beziehung einfach dazu. Zu zweit nascht man auch, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich nascht der andere ja auch.
Auch Heribert macht enorme Gewichtsschwankungen durch. Wenn er nach vier Monaten nach Hause kommt, schlackern die Jeans um seine Beine, und da, wo vorher sein Hintern war, hängen die Hosentaschen schlaff nach unten. Nach zwei Monaten Urlaub im Schlaraffenland hat er dann wieder sein Normalgewicht erreicht. Manchmal liegt er auch etwas darüber. Wenn er zu viel zugenommen hat, beruhigt er sich immer mit dem Ausspruch, dass die überflüssigen
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