Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Kilos in den nächsten Monaten ohnehin wieder verschwinden würden. Er ist so herrlich uneitel. Er macht sich einfach nie Gedanken über sein Gewicht. Dabei liegen jedes Mal gute zehn Kilogramm zwischen An- und Abreise.
Zypern, 23. 06. 2002
Hallo, meine liebe Nancy,
noch drei Tage, dann geht es für mich nach Brasilien. Ich kann es kaum erwarten, hier abzuhauen. Nicht weil es mir hier nicht gefällt, sondern weil ich endlich wieder auf ein Schiff komme, das sich bewegt. Hier bewegen wir uns zwar auch. Aber immer nur ein paar Meter. Wir liegen vor Zypern und haben den Anker geworfen. Es kommt mir so vor, als ob die Tage, die wir hier liegen, noch viel langsamer vergehen als die Tage, die wir unterwegs waren. Dabei ist in letzter Zeit ziemlich viel passiert. Nahezu die gesamte Besatzung ist nach Hause geschickt worden. Wir sind jetzt noch sieben Mann an Bord. Es gab aber ein Problem. Der Zweite Offizier, der seinen Vertrag schon seit einiger Zeit beendet hatte, sollte weiter an Bord bleiben. Ich weiß nicht, ob es Taktik war oder einfach nur die Tatsache, dass er so viel gearbeitet hatte. Plötzlich ist er auf der Brücke in Tränen ausgebrochen. Er fing an zu schreien, lief aufgeregt auf und ab und rief immer nur, dass es sein Recht sei, nach Hause zu fahren. Er hätte keine Lust mehr. Er wolle endlich nach Hause. Der Kapitän hat versucht, ihn zu beruhigen, doch nichts half. Die Konsequenz war für ihn sehr angenehm, doch für mich etwas nervig: Er hat sein Flugticket bekommen und ich seine Wache. Das finde ich wirklich nett, jetzt darf ich jeden Tag seine Arbeit machen und zusätzlich zehn Stunden Wache gehen. Aber etwas Gutes hat das Ganze doch: Ich kann auf der Brücke nun ganz in Ruhe an den Menschen Briefe schreiben, der mir am meisten fehlt. Ach Nancy, ich vermisse dich so wahnsinnig. Warte mal kurz, ich muss die Schiffsposition überprüfen und ins Logbuch eintragen.
So, da bin ich wieder. Es hat etwas länger gedauert, weil ich noch kurz mein Radio geholt habe. Jetzt höre ich irgendeinen komischen zypriotischen Sender, der abwechselnd Club- und Housemusik spielt. Was anderes haben die hier wohl nicht.
Heute hatten wir Besuch von zwei Crewing-Managern aus dem Reedereibüro. Sie haben sich vom Kapitän das ganze Schiff zeigen lassen. Sie waren im Maschinenraum und in den Laderäumen. Später haben sie sich auch die Brücke angesehen. Auf der Brücke konnte ich mich dann ein bisschen mit ihnen unterhalten. Mein nächstes Schiff kommt voraussichtlich am 27. Juni in Paranagua, Brasilien, an. Wenn du das auf der Karte suchen solltest, Paranagua liegt südlich von Santos und São Paulo, etwa 80 Kilometer von der Stadt Curitiba entfernt. Dort wird das Schiff ungefähr vier Tage liegen und gefrorene Hühnchen laden. Von da geht es dann nach Jeddah, Saudi-Arabien. Leider wieder nicht nach Europa.
Ach Nancy, die Abende bzw. Nächte hier sind wie in einem billigen Groschenroman. Ich stehe meistens draußen auf der Nock, eine Tasse Tee in der Hand, und starre hinauf zu den Sternen. Ich schmachte so sehr dem Tag entgegen, an dem ich dich endlich wieder umarmen darf. Ich habe teilweise schon die Stunden ausgerechnet, doch war mir die Zahl, die dabei herauskam, viel zu hoch, so dass ich sie sofort wieder verdrängt habe.
Meine Arbeit hier macht eigentlich viel Spaß. Mich freut vor allem, dass mir mittlerweile Verantwortung übertragen wurde. Ich verstehe mich auch mit dem Kapitän immer besser. Er meinte, es sei ziemlich selten, dass ein Mensch sich nicht beschwert, wenn er für das gleiche Geld mehr arbeiten müsse. Doch mir ist es eigentlich egal, ob ich nun in meiner Kammer darauf warte, dich endlich wiederzusehen, oder auf der Brücke. Hauptsache, die Zeit vergeht. Jetzt muss ich aber mit dem Schreiben aufhören und ein bisschen aufpassen. Ein paar Partyboote mit betrunkenen Touristen umrunden das Schiff.
Ich liebe dich! Dein Heribert
Mir tut alles weh, ich schwitze, und meine Atmung geht so schwer, dass ich fürchte, alle im Raum können mich hören. Jetzt bereue ich es, während der vergangenen acht Wochen bei meinem Yogakurs durch Abwesenheit geglänzt zu haben. Ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen. Statt zum Sport zu gehen, lag ich lieber neben Heribert auf dem Sofa, war mit ihm im Kino, oder wir aßen Steak mit Pommes und anschließend Eiscreme. Ich entschuldigte mein Versäumnis vor mir selbst damit, dass ich die Zeit mit Heribert doch genießen müsse. Schließlich sei er immer nur ein
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