Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
auf, Heribert dagegen bleibt ganz ruhig. Ich bewundere ihn für seine Gelassenheit. Wahrscheinlich ärgert er sich ebenso sehr wie ich, aber er echauffiert sich nicht so. »Das ändert doch auch nichts am Ergebnis«, sagte er erst vor ein paar Tagen.
Ich glaube, dass er mich heute noch anrufen wird. Ich rechne ganz fest damit. Eigentlich hatte ich schon heute Nacht auf seinen Anruf gehofft. Gestern Abend sollte sein Schiff im Hafen von Jacksonville eintreffen. Heribert hat zwar nicht explizit gesagt, dass er mich anrufen wird, aber zurzeit meldet er sich oft. Mindestens einmal aus jedem Hafen. Oder er schreibt mir eine SMS. In den ersten Wochen nach der Trennung ist es immer so. Im Laufe der Reise nimmt die Kommunikation dann etwas ab, und kurz vor seiner Heimkehr meldet er sich wieder häufiger. Bei Heriberts vergangenem Besuch in Florida hat er sich vom Agenten eine US-SIM-Karte besorgen lassen. Die kann er in sein deutsches Handy einlegen, und so kann ich ihn günstig zurückrufen. Die günstigsten Tarifvorwahlen habe ich mir bereits im Internet herausgesucht. Mit der 01084 kostet eine Gesprächsminute zwei Cent. Das ist doch verrückt! Ein Anruf auf ein Handy in den USA ist billiger als ein Anruf auf ein Handy in Berlin. Ich könnte also eine Stunde mit ihm telefonieren und würde nur einen Euro und zwanzig Cent bezahlen. Weil diese billigen Vorwahlen aber oft besetzt sind oder die Verbindung ganz grauenvoll ist, habe ich mir gleich fünf Vorwahlen aufgeschrieben. Aber keine kostet mehr als zehn Cent pro Minute.
Vielleicht hat Heribert in den Häfen der USA sogar Zugang zum Internet. Zum Teil gibt es dort ungesicherte Netzwerke, in die er sich mit seinem privaten Rechner einwählen kann. Dazu muss er sich aber irgendwo an Deck befinden. Oder er muss sich mit seinem Rechner direkt an eines seiner Fenster stellen. Die Stahlhülle des Schiffes verhindert ansonsten, dass die Funkwellen im Inneren ankommen.
Heute ist Sonnabend, mein Rechner läuft seit Stunden, mein Skype-Account ist geöffnet, aber Heribert ist nicht online. Es ist gut möglich, dass er Stress hat. Immerhin ist er als Erster Offizier für die Ladung zuständig. Seitdem er zum Ersten Offizier befördert wurde, hat er auch kaum noch Zeit für Landgänge. Sobald das Schiff in einem Hafen ankommt, beginnen die Kräne mit dem Be- und Entladen der Container. Kaum sind die Kräne fertig, legt das Schiff auch schon wieder ab. Manchmal liegen dazwischen nur wenige Stunden. Heribert ist so viel in der Welt unterwegs, und oft sieht er doch nur Wasser und Containerterminals. Aber er hat sich noch nie darüber beschwert.
Vielleicht ist das Schiff auch noch gar nicht im Hafen angekommen, denke ich. Ich habe eine Idee. Ich gehe auf die Internetseite seiner Reederei. Warum habe ich nicht früher daran gedacht? Auf ihrer Seite gibt es eine Weltkarte, auf der ich nach jedem Schiff der Reederei suchen kann. Wenn alles klappt, bekomme ich die aktuelle Position seines Schiffes angezeigt. Leider funktioniert diese Seite oft nicht. Häufig lässt sie sich nicht laden, oder mein Browser stürzt ab, sobald ich versuche, die Seite zu öffnen. So ist es auch heute. Ich versuche es immer wieder. Ich werde ganz unruhig. Irgendwann gebe ich auf.
Eigentlich müsste ich zum Supermarkt gehen, ich müsste auch zur Post und zur Apotheke. Es ist 10 Uhr vormittags. Eine perfekte Zeit für solche Besorgungen. Aber was ist, wenn Heribert genau dann online ist, wenn ich unterwegs bin? Ich würde mich wahnsinnig ärgern. Also bleibe ich zu Hause und warte. Ich starre auf das Telefon, ganz so, als könnte ich dafür sorgen, dass es gleich klingelt. Das Telefon bleibt stumm. Zur Ablenkung fange ich an, E-Mails an Freunde von Eileen zu verschicken. In weniger als zwei Monaten ist ihre Hochzeit in Australien. Ich habe mir überlegt, dass es ein schönes Geschenk wäre, Glückwünsche und aktuelle Fotos von all denen einzusammeln, die nicht zur Hochzeit fliegen. Ich könnte alle Fotos und Glückwünsche in einer Art Fotobuch zusammenstellen und es dann drucken lassen. Ich schreibe an ehemalige Schulkameraden, an ihre Au-pair-Freundinnen aus Washington, ehemalige Mitbewohner und Kommilitonen, und ich schreibe sogar an ihren ersten Freund Michael. Ich schreibe jeden ihrer Freunde und Bekannten, die mir bisher eingefallen sind und deren Mailadresse ich habe, persönlich an. Ich schreibe, dass Eileen heiratet und ich an einem Geschenk arbeite, für das ich dringend Hilfe benötige. Aus
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