Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
»Nancy« antwortete, würde wahrscheinlich wieder dieses Ost-West-Gespräch losgehen. Nur im Osten heißen die Mädchen Nancy. Aber auf das Thema hatte ich keine Lust. Eine Freundin von mir nennt sich auf Partys immer Uschi und behauptet, Friseurin zu sein. Sie findet das lustig. Ich kann aber nicht behaupten, ich würde Uschi heißen. Erstens heißt meine Oma, also die Mutter meines Vaters, so, und zweitens würde ich zu sehr lachen müssen.
»Ich heiße Anna«, sagte ich schließlich. Bei Anna gibt es keine Diskussion. Wir unterhielten uns über Berlin und Hamburg, über das furchtbare Wetter und unsere Jobs. Vorsichtshalber erzählte ich ihm, dass ich einen Freund habe. Denn Thomas kam immer näher. Ich wußte nicht, ob es daran lag, dass es hier so eng war und er von hinten geschoben wurde, oder ob er seinen Oberkörper mit Absicht an meinen drückte.
»Und warum bist du heute alleine hier?«, säuselte er in mein Ohr. Ich spürte seinen Atem an meiner Wange. Ich erzählte ihm, dass mein Freund Seemann sei. In Hamburg ist das schließlich nichts Außergewöhnliches. Doch dann wollte Thomas wissen, ob ich treu bin.
Thomas ist etwa Mitte dreißig, groß, schlank, hat dunkles volles Haar, das sich im Nacken etwas wellt. Die Lederjacke steht ihm gut. Ich glaube, wenn ich Single wäre, würde er mir gefallen. Jetzt steht er so nah, dass ich ihn riechen kann. Er riecht gut.
»Wann hast du deinen Freund das letzte Mal gesehen?«, will er wissen.
»Vor zwei Monaten.«
»Und wann siehst du ihn wieder?«
»In zwei Monaten.«
»Und du siehst ihn zwischendurch kein einziges Mal?«
»Nein. Leider nicht.«
»Und glaubst du denn, dass er dir treu ist?«
»Natürlich«, antworte ich empört.
Dann fängt er an zu lachen und nimmt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. »Du bist ja süß«, sagt er.
»Er ist auf einem Schiff mit 24 anderen Männern. Er kann gar nicht fremdgehen. Selbst wenn er wollte«, sage ich und verschweige die junge Auszubildende.
»Aha. Und er geht nie an Land?«
»Nein. Na ja, zumindest nur selten.«
»Das behauptet er.«
»Nein, das ist so.«
»Mein bester Freund ist auch Seemann. Er ist Ingenieur auf einem Tankschiff. Er erzählt mir immer die krassesten Geschichten. Er ist verheiratet und hat einen kleinen Sohn. Seine Frau ahnt nichts. Genau wie du.«
»Aber du kennst meinen Freund doch gar nicht. Du kannst doch nicht von deinem Kumpel auf alle Seemänner schließen.«
»Das stimmt. Aber es sind schließlich alles Männer, oder? Genau wie ich. Und das kannst du mir glauben, kein gesunder, halbwegs junger Mann hält es vier Monate ohne Sex aus. Und schon gar nicht, wenn er theoretisch die Möglichkeit dazu hat.«
Thomas wird mir von Minute zu Minute unsympathischer. Seine Nähe ist mir unangenehm. Ich habe keine Lust auf diese Unterhaltung. Ich drehe mich hilfesuchend nach Meike um. Zum Glück steht sie genau in dem Moment hinter mir. Ich werfe ihr einen flehenden Blick zu. Unsere nonverbale Kommunikation funktioniert noch genauso gut wie früher. Sie versteht sofort und sagt so laut, dass auch Thomas es hören kann. »Sei mir nicht böse, aber ich bin wahnsinnig müde. Können wir los?«
»Klar, kein Problem«, sage ich, strahle sie an und trinke den letzten Schluck aus meiner Flasche. »Tschüs, Thomas«, sage ich. »Bis vielleicht bald mal wieder!«
»Tschüs, Anna, war ein nettes Gespräch! Und toi, toi, toi. Du weißt schon.«
»Anna? Wieso Anna?«, fragt Meike mich beim Hinausgehen. Ich muss lachen.
Als wir im Nachtbus sitzen, muss ich die ganze Zeit daran denken, was Thomas gesagt hat. Natürlich weiß ich, dass Männer beim Thema Sexualität anders ticken als Frauen. Aber gehen deshalb gleich alle fremd?
»Meike, glaubst du, Heribert ist mir treu?«
»Wie kommst du jetzt darauf?«, will sie wissen.
»Dieser Typ von eben, dieser Thomas, hat behauptet, dass ein Freund von ihm auch Seemann sei und in einer Tour fremdgehen würde. Und dass das auch gar nicht anders ginge, weil er schließlich ein Mann sei und bestimmte Bedürfnisse habe.«
»Ach Quatsch. Jetzt hör aber auf. Der wollte dich doch nur rumkriegen. Ich habe doch gesehen, wie der dich angestarrt hat. Dem würde ich kein Wort glauben.«
»Sicher?«
»Ganz sicher. Bei Piloten behaupten doch auch immer alle, dass die bei jeder Gelegenheit mit den Stewardessen ins Bett gehen. Glaubst du, Laurent hat etwas mit einer Stewardess?«
»Nie im Leben. Dazu liebt er dich viel zu sehr.«
»Siehst du. Und Bertl
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