Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
dem Schiff trägt sonst niemand Uniform. Der Kapitän hatte heute allerdings ein schneeweißes Hemd an. Das trage er immer beim Ein- und Auslaufen, erzählte mir Heribert. Der Lotse begrüßte den Kapitän, bekam einen Kaffee, und dann ging es auch schon los. Ich hielt mich ganz still im Hintergrund. Der Kapitän sprach immer abwechselnd mit dem Lotsen und mit seinen Offizieren über das Funkgerät. Ich konnte Heribert am anderen Ende auch etwas sagen hören. Richtig verstanden habe ich ihn aber nicht. Die Leinen wurden losgemacht, zwei kleine Schlepper namens »Sabine IV« und »Sabine V« schoben das riesige Schiff. Wir wendeten ganz langsam im Hafenbecken. Der Auszubildende Herr Braun übernahm das Ruder. Der Lotse gab die Kommandos, der Kapitän wiederholte sie, und Herr Braun führte sie aus. Bis wir den Hafen verlassen hatten und der Lotse über die Leiter in sein Schnellboot stieg, verging mehr als eine Stunde. Kurz danach kam Heribert frisch geduscht und in Jeans und T-Shirt auf die Brücke und begann mit seiner Seewache. Der Kapitän ist daraufhin ziemlich schnell wieder gegangen. Ich werde mich jetzt noch etwas auf die Nock setzen und mein letztes Buch zu Ende lesen. Acht Bücher in 16 Tagen. Das ist Rekord.
Heute sind auch meine Flugdaten gekommen. In einer Woche fliege ich von Kingston zurück nach Hause. Ich fliege diesmal wieder über Miami, weiter nach Frankfurt und dann nach Berlin. Aber ich möchte noch gar nicht an meine Abreise denken. Ich möchte meine letzten Tage an Bord und vor allem die Zeit mit Heribert genießen. Es geht mir gerade richtig gut. Die Reise mit dem Schiff war eine wirklich tolle Idee. Alles ist so spannend. Und es ist toll, Heribert bei der Arbeit zu beobachten. Ich habe das Gefühl, ihn ganz neu kennengelernt zu haben. Ich bin sehr stolz auf ihn. Und mein Verständnis für seinen Beruf ist auf jeden Fall deutlich gewachsen. Ich glaube, wenn ich ein Mann wäre, würde ich umschulen und auch zur See fahren. Zumindest für ein paar Jahre.
20.30 Uhr
Zum Abendessen gab es wieder Zunge. Auch Heribert verzichtete dankend. Der Dritte Ingenieur, ein netter Filipino, saß bei uns am Tisch und unterhielt sich lange mit uns. Er ist schon seit sechs Monaten an Bord und will noch einmal so lange bleiben. Er hat zwei kleine Kinder. Zwei Mädchen, das eine ist zwei, das andere fünf Jahre alt. Von seiner Seefahrtzeit sprach er ganz negativ. Fast wie von einer Zeit im Gefängnis. Auch er macht den Job nur des Geldes wegen. Er verdiene sehr gut, sagte er. So viel Geld würde er auf den Philippinen niemals verdienen. Auch er unterstützt eine ganze Großfamilie. Seine Eltern, seine Geschwister und auch deren Kinder.
Tag 17 – Auf dem Weg nach Point Lisas (Trinidad)
9.00 Uhr
Heute Nacht habe ich spontan entschieden, mit Heribert auf die Brücke zu gehen. Ich beobachtete das Radargerät und stellte fest, dass ich mit Hilfe des Fernglases ständig kleine Boote sehen konnte, die das Radargerät gar nicht wahrnahm. Ich fand das unheimlich. Heribert erklärte mir, dass das wahrscheinlich kleine Fischerboote aus Holz seien, die das Gerät nicht erkennen würde. Alle paar Minuten leuchtete ein Alarmknopf. Den musste Heribert schnell drücken, sonst wird ein richtiger Alarm ausgelöst. Dieser Alarmknopf soll sicherstellen, dass der wachhabende Offizier nachts nicht einschläft. Und falls doch, bleibt es wenigstens nicht unbemerkt. Das finde ich sehr beruhigend.
Heute Nachmittag kommen wir übrigens in Point Lisas an. Ich bin schon ganz gespannt. Ich habe eine sehr romantische Vorstellung von Trinidad, aber Heribert meinte, dort gäbe es nur Industrie. Und ein Landgang sei auch nicht möglich. Schade.
22.00 Uhr
Heute Nachmittag haben wir den Anker geworfen, und dann hieß es wieder einmal warten. Um 20 Uhr sind wir dann aber eingelaufen. Heribert ist gerade zurückgekommen, hat geduscht und wollte sich hinlegen, als das Telefon klingelte. Der Azubi Herr Zink hat eine Verbrennung an der Hand und braucht medizinische Behandlung. Heribert hat sich also wieder angezogen und sich auf den Weg zum Krankenzimmer gemacht. Herr Zink ist aber auch ein richtiger Pechvogel. In seiner ersten Woche fiel ihm im Maschinenraum ein Kolben auf den Kopf, in der zweiten Woche wurde ihm in Puerto Cabello die Brieftasche gestohlen, und kurz bevor ich an Bord gekommen bin, hat er sich beim Schweißen die Augen verblitzt.
Tag 18 – Point Lisas (Trinidad)
10.00 Uhr
Mir ist kalt. Draußen sind es 30 Grad
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