Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
mir alte Fotos anzusehen. Wenn Heribert weg ist, sehe ich mir oft Bilder aus der Zeit an, als er da war. Es müssen nicht immer Unternehmungen sein, manchmal fotografiere ich ihn auch, wenn er kocht, wenn er auf dem Sofa liegt und fernsieht. Manchmal fotografiere ich ihn sogar, wenn er schläft. Ich genieße es, wenn in mir beim Ansehen der Bilder die Erinnerungen und sogar die alten Gefühle wieder hochkommen.
Ich gehe weiter zum Botanischen Garten und beschließe, Heribert ein Fotoalbum unseres Australien-Urlaubs zu gestalten und es ihm als Weihnachtsgeschenk an Bord zu schicken. Ich überlege schon seit Wochen, was ich ihm schenken könnte. Geschenke auf sein Schiff zu schicken ist nämlich immer ein kleines Problem. Ich darf ihm keine Pakete senden. Die Reederei würde sie umgehend an mich zurückschicken. Wegen des Zolls. Das haben sie mir gesagt, als Heribert das erste Mal Weihnachten an Bord verbrachte. Damals war ich sogar ein bisschen erleichtert über diese Aussage, weil ich dachte, dass sich das Thema Geschenk damit zunächst einmal erledigt hätte. Aber Heribert protestierte heftig. »Kannst du mir nicht wenigstens ein kleines Geschenk schicken? Eines, das in einen Briefumschlag passt? Bitte!«, flehte er mich an. Ich versprach ihm, mir etwas zu überlegen. Und seitdem gibt es immer flache briefumschlaggroße Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke.
So ein Album passt auf jeden Fall in einen Umschlag, denke ich. Es ist perfekt. Ich werde gleich heute noch mit dem Erstellen des Albums beginnen. Meinen Laptop mit all den Fotos und der Software habe ich dabei. Mit diesem Plan im Kopf geht es mir schon wieder etwas besser. Ich gehe durch das große gusseiserne Tor in den Botanischen Garten. Ich laufe auf die Liegewiese zu. Alles hier ist herrlich grün und ruhig. Ich erkenne auch den Baum wieder, unter dem ich vor ein paar Monaten mit Heribert lag. Ohne nachzudenken, laufe ich zu diesem Baum. Dort angekommen, lasse ich mich in seinem Schatten nieder und beobachte die Leute um mich herum. Niemand außer mir scheint allein hier zu sein. Überall sehe ich Familien und Paare. Viele von ihnen picknicken, andere liegen einfach nur auf der Wiese und bewegen sich kaum. Ich hole mein Buch aus der Tasche und fange an zu lesen. Ich muss noch einmal zurückblättern, weil ich mich kaum daran erinnern kann, was bisher passiert ist. Ich lese ein paar Seiten, dann schlafe ich ein.
Nordatlantik, 29. 04. 2006
Liebe Nancy,
erst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass du jetzt schon wieder so lange keinen Brief mehr von mir erhalten hast! Ich weiß, dass es dafür eigentlich keine Entschuldigung gibt, aber es ist irgendwie ein bisschen schwierig, die richtige Zeit zum Schreiben zu finden. Und noch viel schlimmer ist es, dass mein schlechtes Gewissen tagtäglich wächst, weil ich doch weiß, wie viel du mir immer schreibst und wie sehr du dich über Post von mir freuen würdest. Doch glaube mir, hier passiert eigentlich gar nicht viel. Und wenn ich wie du jeden Tag ein bisschen schreiben würde, würde ich mich ständig nur wiederholen. Schließlich besteht das Bordleben doch hauptsächlich aus Routine, und ich habe ein wenig Sorge, dass ich dich mit meinen Geschichten langweilen könnte. Ich möchte dir doch nur wundervolle und interessante Briefe schreiben. Und ich möchte, dass du auch weiterhin denkst, dass das Leben eines Seemannes aufregend und abenteuerlich sei.
Nun aber genug davon. Ich erzähle dir lieber mal, was es tatsächlich Neues von hier zu berichten gibt.
Vor ein paar Tagen ist mein Schachpartner, der Zweite Offizier, abgelöst worden. Das ist für mich natürlich eine Katastrophe. Aber ich möchte mal nicht so sein. Er war immerhin sieben Monate an Bord. Es wurde also langsam Zeit, dass er nach Hause kam. Und zum Glück habe ich noch den Schiffsmechaniker. Mit dem gehe ich nun jeden Abend Tischtennis spielen. Ich verliere zwar meistens, aber es macht trotzdem Spaß. Er versucht mich auch immer zum Krafttraining zu überreden, aber dazu habe ich keine Lust. Außerdem habe ich ein bisschen Angst davor, dass ich, wenn ich erst einmal damit anfange, einen derart breiten Rücken und so riesige Oberarme bekomme, dass du mich nicht mehr wiedererkennst und womöglich auch nicht mehr attraktiv finden könntest.
Ich möchte dir auch noch ein wenig vom Kapitän schreiben. Mittlerweile verstehen wir uns nämlich sehr gut. Er erzählt mir viel von seiner Familie, und ich erzähle fast nur von dir. Na
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