Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

es nur eine andere Art der Schiffsführung, an die ich mich erst noch gewöhnen muss.
    Jetzt aber mal zu einem anderen Thema: meine Kammer. Das Tollste an meiner Kammer sind die zwei großen Fenster, die man auch tatsächlich Fenster nennen kann. Sie gehen beide nach vorne raus, und da wir im Moment kaum Container geladen haben, habe ich einen tollen Ausblick und werde jeden Morgen von der Sonne geweckt. Das Wetter war bis auf die vergangenen Tage übrigens wundervoll. Blauer Himmel, etwa 28 Grad und kaum Wind. Ich bin abends nach meiner Wache oft noch an Deck gewesen und habe mir den Sternenhimmel angeschaut. Diese Momente würde ich so gern mit dir teilen. Einfach nur dasitzen, in die Sterne sehen und den Augenblick genießen. Manchmal denke ich, ich sollte härter sein. Ich bin doch ein Seemann. Und ein richtiger Seemann liebt nur die weite Welt und das Meer. Aber das kann ich nicht. Habe ich doch mein Herz bei dir in Berlin gelassen.
     
    Zu meinen wenigen Highlights gehört übrigens die fast tägliche Runde Schach mit dem Zweiten Offizier. Er ist Russe und schlägt mich eigentlich immer. Bis jetzt habe ich nur dreimal gewonnen. Beim Tischtennis habe ich ihn aber, ohne mich jetzt besonders loben zu wollen, im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand gespielt. Beim ersten Spiel habe ich mir zunächst einmal angeschaut, wie gut er ist. Ich wollte es ein bisschen gemütlich angehen lassen. Doch als er dann anfing zu schmettern, kannte ich keine Gnade mehr. Natürlich spiele ich viel lieber mit dir Tischtennis, und ich glaube, ohne unsere regelmäßigen Partien im Park wäre ich jetzt auch nicht halb so gut.
    Ansonsten ist der Koch für mich so etwas wie der wichtigste Mann an Bord. Was der auf den Tisch zaubert, ist wirklich außergewöhnlich. Das Beste sind seine Bratkartoffeln. Und wenn es samstags Eintopf gibt, serviert er eine unglaubliche Knoblauchbutter zum frisch gebackenen Baguette. Er trinkt vielleicht ab und zu einen zu viel, aber das scheint seinen Kochkünsten eher zu nutzen als zu schaden.
    Weißt du, worauf ich mich freue? Endlich mal wieder selbst kochen zu können. Auch wenn es nur eine Lasagne ist. Und am Schönsten wäre es, wenn wir zwei mal wieder zusammen kochen könnten. Wenn du willst, machen wir auch eine Spinatlasagne ganz ohne Fleisch. Na ja, vielleicht überleg ich mir das auch noch mal.
    In zwei Tagen kommen wir übrigens in Sydney an. Ich freue mich schon richtig darauf, mich mit Eileen zu treffen. Endlich ein normaler Mensch. Einer, der nichts mit der Seefahrt zu tun hat. Ich habe mir heute mal die Hafenkarte von Sydney angeschaut. Wenn wir den Liegeplatz bekommen, der uns vorab mitgeteilt wurde, dann sind wir mitten in der Stadt. Zum Zentrum wäre es von dort nur ein Katzensprung. Ich werde natürlich auch versuchen, dich aus Sydney anzurufen. Jetzt muss ich aber erst einmal schnell auf die Brücke. Meine Wache beginnt gleich.
    Ich liebe dich! Und ich vermisse dich. Danke, dass du so geduldig auf deinen Seemann wartest. Grüße doch bitte deine ganze Familie. Und natürlich alle Menschen, die sich freuen, von mir zu hören.
    Pass auf dich auf! Bis hoffentlich ganz bald mal wieder!
    Dein dich vermissender Heribert
    Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als Heribert und Eileen sich in Sydney trafen. Über vier Jahre ist das nun schon her. Ich war in Berlin, ich fühlte mich allein und war wahnsinnig neidisch. Wie gern wäre ich dabei gewesen. Es war Anfang März, in Deutschland war Winter, in Australien Sommer. Es gibt ein Foto von den beiden. Eileen hat es mir nach ihrem Treffen zugemailt. Die beiden stehen auf einer Wiese, im Hintergrund ist auf der linken Seite die berühmte Oper zu sehen, rechts die Harbour Bridge. Eileen trägt einen Sommerrock, ein ärmelloses T-Shirt und hat eine Sonnenbrille im Haar. Heribert trägt Jeans und ein weißes Polo-Shirt. Beide lachen in die Kamera. Einen Tag nach ihrem Treffen telefonierte ich mit Eileen. Ich wollte alles ganz genau wissen.
    »Wie sah er aus?«, fragte ich. »Was hatte er an?« Eileen fand meine Fragen eigenartig.
    »Ganz normal«, antwortete sie. »Jeans und T-Shirt.« Dann schickte sie mir das Foto von ihnen. Als ich es mir angesehen habe, musste ich weinen.
    Einen Monat nachdem Heribert und Eileen sich in Sydney getroffen haben, hat Eileen ihren australischen Freund Vito kennengelernt. Vier Jahre später sitze ich im Flugzeug und fliege zu ihrer Hochzeit.

    Zwölf mir endlos lang erscheinende Stunden später bin ich endlich