Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
so langsam an, an mir zu zweifeln. Jeden Abend nehme ich mir vor, dass mir das am nächsten Tag nicht passieren wird. Aber dann vergesse ich es doch wieder. Meistens stellt sich schon der Steward in den Gang und lächelt mich breit an, wenn ich mal wieder falsch abgebogen bin. Ich will nicht wissen, was der mittlerweile von mir denkt. Aber nach vier Monaten ist es eben schwer, sich komplett umzugewöhnen. Vielleicht werde ich ja auch einfach nur alt.
Die Besatzung hier ist übrigens sehr nett. Die Offiziere sind meistens gut gelaunt. Und die Besatzung sowieso. Ich glaube, ich habe noch nie einen schlechtgelaunten Kiribati gesehen. Na ja, ab und zu, wenn sie etwas trinken, zum Beispiel beim Barbecue, werden sie gelegentlich etwas melancholisch. Sonst sind sie aber immer außerordentlich nett und lustig.
Der Einzige, der mir hier an Bord ein bisschen auf den Geist geht, ist der Schiffsmechaniker-Azubi. Er war vor seiner Ausbildung bei der Freiwilligen Feuerwehr. Irgendwo in einem Dorf in Niedersachsen. Ständig kommt er mir mit irgendwelchen Vorschlägen, wie man die Schiffssicherheit an Bord verbessern könnte oder wie man bei einem eventuellen Brandunglück vorgehen müsste. Ich versuche ihm dann immer zu erklären, dass er die Situation hier nicht mit der Situation an Land vergleichen kann. Dass an Bord nicht annähernd so viele Ressourcen da sind, um ein Unglück, egal welcher Art, genau wie an Land zu bekämpfen. Bis jetzt hat er es allerdings noch nicht so richtig verstanden. Na ja, aber irgendwie bin ich ihm auch dankbar. Er hält mich auf Trab und zeigt mir, was man hier an Bord noch verbessern sollte. So, jetzt muss ich aber mal schnell auf die Brücke. Ich melde mich später noch mal …
Hallo, liebe Nancy, hier bin ich wieder. Was könnte ich dir als Nächstes erzählen? Ich war doch vorhin beim Thema Azubi. Wir haben an Bord übrigens auch eine Technische Offiziers-Assistentin, und die verdreht vor allem den Kiribatis ganz schön den Kopf. Das eigentlich Kuriose aber ist, dass sie die ihr aufgetragenen Arbeiten nicht selbst verrichtet, sondern ständig andere für sich arbeiten lässt. Vor ein paar Tagen kam der Feuerwehr-Azubi ganz aufgeregt zu mir und erzählte, dass er in den Maschinenraum kam, als sie sich gerade von einem Kiribati den Nacken massieren ließ, während ein anderer wieder einmal ihre Arbeit erledigte. Der Feuerwehrmann war ganz schön sauer. Ich musste lachen. Du weißt ja, was ich von Frauen an Bord halte. Sie bringen nur Unruhe rein. Was damit mal wieder bewiesen wäre. Aber du musst dir keine Sorgen machen, ich massiere ihr weder den Nacken, noch verrichte ich ihre Aufgaben. Auch wenn ich zwölf Monate von dir getrennt wäre, andere Frauen interessieren mich einfach nicht.
Der Kapitän ist übrigens derselbe wie auf meinem letzten Schiff. Wir verstehen uns sehr gut. Wir leihen uns auch immer gegenseitig Filme aus. Und wir spielen hin und wieder Monopoly zusammen. Na ja, eigentlich schaut der Kapitän immer nur zu. Vor kurzem saßen wir mal wieder mit ein paar Leuten in der Offiziersmesse zusammen und haben gespielt. Die Azubis, der Chief Engineer und ich. Der Kapitän kam nach unten und sah uns zu. Ständig gab er irgendwelche klugen Kommentare ab. Ich glaube, er hätte eigentlich gern mitgespielt. Aber es ziemt sich wohl nicht für einen Kapitän, mit den Auszubildenden Monopoly zu spielen.
Mit Landgängen sieht es diesmal leider nicht so gut aus. Ich habe es bis jetzt noch kein einziges Mal geschafft, an Land zu gehen. Aber morgen kommen wir in Gioia Tauro (Italien) an. Dann werden zwar wieder viele Leute an Bord kommen, die irgendetwas von mir wollen, und ich habe auch noch zwölf Stunden Ladungswache, aber anschließend können die mich alle mal. Dann gehe ich von Bord, kaufe mir eine Telefonkarte und rufe dich an. Ich freue mich schon so darauf, endlich mal wieder ausgiebig und ungestört mit dir zu telefonieren.
Und jetzt komme ich zum wirklich krassesten Vorkommnis hier an Bord. Ich habe es dir schon vor ein paar Tagen kurz am Telefon erzählt. Und ich werde es dir morgen sicher noch einmal ausführlich erzählen. Aber aufschreiben möchte ich es dir trotzdem gern:
Es ist mittlerweile schon zehn Tage her. Aber mir ist, als wäre es erst gestern passiert. Es war kurz vor 16 Uhr nachmittags, ich stand auf der Brücke und war gerade dabei, meine Wetterbeobachtungen zu machen, um sie dann ins Logbuch einzutragen. Ich sah also aufs Meer, um die Windstärke zu
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