Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
lächeln fröhlich in die Kamera.
Nach dem Foto entschuldige ich mich und gehe auf die Terrasse. Ich schäme mich, weil ich mich so selbstverständlich neben einen fremden Mann gestellt und in die Kamera gelächelt habe. Ich hatte nicht einmal ein komisches Gefühl dabei. Wie kann ich an unserem zehnten Jahrestag ohne Heribert auf einer Hochzeit sein, Spaß haben und mich dann auch noch wie selbstverständlich neben einen fremden Mann stellen? Es hat so ausgesehen, als wären wir zwei ein Paar. Was würde Heribert wohl zu diesem Foto sagen? Und wie würde ich reagieren, wenn Heribert sich ebenso verhalten hätte? Wahrscheinlich würde ich vor Eifersucht platzen. Schon allein der Gedanke daran erhöht meinen Pulsschlag. Ich hole mein Handy aus der Handtasche und schreibe Heribert eine SMS. Es ist schon die dritte SMS an diesem Tag. Ich schreibe ihm, dass ich wünschte, er wäre hier. Ich schreibe ihm, dass es eine sehr schöne Feier sei, ich sie aber gar nicht richtig genießen könne, weil er mir so fehle. Ich schreibe ihm, dass ich ihn liebe. Und dass ich es kaum erwarten könne, ihn endlich wiederzusehen.
Nachdem ich diese Nachricht abgeschickt habe, fühle ich mich etwas besser. Ich stehe auf und gehe zurück ins Restaurant. Als ich den Saal betrete, sehe ich, dass gleich der Brautstrauß geworfen wird. Eileen bittet mich schnell auf die Tanzfläche.
»Wir haben dich schon vermisst«, ruft sie und zwinkert mir zu. Ungefähr zwanzig junge Frauen sind auf der Tanzfläche, am Rand stehen die ledigen Männer und die verheirateten Paare. Ich weiß, dass Eileen es toll fände, wenn ich ihren Brautstrauß fangen würde. Aber bei dem Gedanken daran wird mir ganz übel. Diejenige, die den Strauß fängt, muss beim nächsten Lied mit ihrem Partner tanzen. Aber mein Partner ist doch gar nicht hier. Ich will den Strauß nicht. Und ich will auch nicht tanzen. Eileen wird von ihrer Schwiegermutter fünfmal um sich selbst gedreht, dann bleibt sie mit dem Rücken zu uns stehen. Eileen zählt langsam von fünf rückwärts. Während alle Frauen um mich herum einen Schritt nach vorn gehen, gehe ich einen Schritt zurück. Der Strauß fliegt durch die Luft. Ein Raunen geht durch den Saal. Alle Frauen reißen ihre Arme nach oben. Nur ich behalte meine Arme unten. Ich bewege mich erst, als ich sehen kann, dass der Strauß ein ganzes Stück links von mir landen wird. Als eine der Australierinnen den Strauß fängt, klatsche ich erleichtert in die Hände. Alle anderen klatschen auch. Dann müssen wir schnell die Tanzfläche verlassen. Die glückliche Fängerin dreht jetzt mit ihrem Freund ein paar Runden. Ihre rechte und seine linke Hand halten den Brautstrauß.
Eileen kommt auf mich zu. »Ich wollte so gern, dass du ihn fängst«, sagt sie und sieht unglücklich auf das tanzende Paar. »Dann hättest du Bertl sagen können, dass er dich bald heiraten muss.«
»Aber du hast den Strauß doch gar nicht in meine Richtung geworfen«, werfe ich ihr lachend vor. »Ja, tut mir leid. Aber durch die blöde Drehung wusste ich gar nicht mehr, wo vorne und wo hinten ist. Dabei hatte ich mir genau gemerkt, wo du stehst.«
»Schade«, sage ich.
»Ja, wirklich schade.« Eileen dreht sich um und geht zurück zu ihrem Ehemann, der sich gerade wieder zu seinen Eltern und Schwiegereltern an den erhöhten Tisch gesetzt hat.
Plötzlich steht Jack neben mir. »Ich hatte den Eindruck, dass du den Strauß gar nicht fangen willst«, sagt er leise und lächelt mich verschwörerisch an.
»Natürlich wollte ich das«, antworte ich empört und lächle zurück.
Kurz vor Gioia Tauro (Italien), 21. 09. 2006
Meine liebe Nancy,
es ist kurz nach 23 Uhr, in einer Stunde muss ich auf der Brücke sein, aber vorher möchte ich dir noch schnell einen Brief schreiben. Vor mir liegt eine Liste mit Stichpunkten zu besonderen Vorkommnissen, doch eigentlich brauche ich diese Liste gar nicht. Alles, was auf dieser Liste steht, habe ich sowieso im Kopf. Deshalb lege ich sie jetzt zur Seite und schreibe einfach auf, was mir gerade einfällt.
Mein jetziges Schiff ist ziemlich baugleich zu meinem letzten Schiff. Das ist sehr angenehm, weil ich mich nicht umgewöhnen musste. Eine Sache aber ist gravierend anders: Die Crewmesse und die Offiziersmesse sind seitenverkehrt. Das heißt, immer wenn ich zum Essen gehe, biege ich erst einmal in die falsche Richtung ab. Nachdem ich nun schon fast zwei Monate an Bord bin und mir das noch immer fast täglich passiert, fange ich
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