Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Schnapsgläser mit den unterschiedlichsten Weihnachtstropfen. Da klingelt das Telefon. Heribert ist am Apparat.
»Ahoi, Herr Kapitän!«
»Hallo, Nancy. Ich habe gerade meine Weihnachtspost bekommen.«
»Ui! Und, hast du sie schon geöffnet?«
»Nein, das wollte ich gern mit dir zusammen machen.«
»Na, dann mal los!«
»Warte kurz, das ist gar nicht so einfach mit nur einer Hand …«
»Dann leg doch den Hörer zur Seite. Aber du musst trotzdem alles kommentieren, bitte!«
»Also gut, ich habe den Lautsprecher angemacht, lege jetzt das Telefon auf den Tisch und öffne den Brief.«
»Hach, ich bin ganz aufgeregt.«
»Und ich erst … Mist, da ist ja noch Geschenkpapier drum.«
»Los, jetzt mach schon. Mach es auf!«
Es knistert am anderen Ende der Leitung. Dann ist es für einen Moment ganz still.
»Ein Fotoalbum. Wie toll!«
»Wirklich? Freust du dich?«
»Ich freue mich total. Wie schön. Das werde ich mir gleich ganz in Ruhe ansehen.«
»Freust du dich wirklich? Irgendwie klingt es gar nicht so.«
»Ich kann mich doch nicht noch lauter freuen. Was soll denn meine Besatzung von mir denken? Meine Tür steht doch offen. Aber wirklich, ich freue mich riesig. Das musst du mir glauben.«
»Na gut, ich glaube dir. Toll, dass das Album doch noch pünktlich angekommen ist! Es hören übrigens gerade alle mit.«
Meine Familie ist ganz leise, als ich ins Wohnzimmer komme. Erwartungsvoll sehen sie mich an. Dann rufen alle im Chor: »Frohe Weihnachten, lieber Bertl!«
»Ach, ich wäre jetzt gern bei euch. Hebt mir doch etwas vom Kartoffelsalat auf, ja?«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Aber okay, wenn du dir das wünschst. Apropos Wunsch, was bekomme ich eigentlich zu Weihnachten?«
Langsam gehe ich wieder zurück in den Flur und schließe die Tür zum Wohnzimmer.
»Ach Nancy, du weißt doch, dass ich hier nichts kaufen kann.«
»Na ja, ein Brief von dir hätte mir schon genügt. Dein letzter Brief an mich liegt schließlich schon mehr als zwei Jahre zurück. Das weiß ich so genau, weil ich ihn erst vor kurzem in der Hand hatte. Das war der Brief, den du noch schnell im Flugzeug geschrieben hast. Erinnerst du dich?«
»Klar erinnere ich mich. Zwei Jahre soll das schon her sein? Das glaube ich nicht. Ich würde dir gern schreiben, wirklich, aber seit ich Kapitän bin, ist es hier noch viel stressiger geworden. Sei mir bitte nicht böse.«
»Ich bin dir nicht böse. Ich bin nur etwas traurig. Und jetzt muss ich auch wieder zurück ins Wohnzimmer. Wir wollten gerade anstoßen.«
Ich verabschiede mich und gehe zurück zu den anderen. Mein Vater hat vor jeden ein Schnapsglas gestellt. Mit dem Anstoßen haben sie auf mich gewartet.
»Auf Bertl!«, ruft mein Opa gutgelaunt, als ich das Wohnzimmer betrete. Ich setze mich.
»Auf Bertl«, wiederholen alle anderen. Dann wird es für einen Moment ganz still. Alle trinken aus ihren Gläsern. Die Männer auf ex, die Frauen Schluck für Schluck. Die Schallplatte ist zu Ende und dreht sich geräuschlos auf dem Plattenteller, nur die Zapfen des Weihnachtsbaums knistern.
Viel schlimmer als ein partnerloses Weihnachtsfest ist es, am Silvesterabend allein zu sein. Silvester sind nur Paare unterwegs. Bei genauerer Überlegung muss ich feststellen, dass es auch in meinem Freundeskreis immer weniger Singles gibt. Ich freue mich natürlich über all die glücklichen Beziehungen, aber im Moment fühle ich mich ganz allein. Ich stehe in der Küche, esse ein Käsebrot und sehe aus dem Fenster. Ich habe mir bisher noch keine Gedanken um Silvester gemacht. Ich habe das Thema verdrängt. Doch jetzt ist Weihnachten vorbei, und der Jahreswechsel naht.
Warum müssen meine Eltern ausgerechnet jetzt in den Skiurlaub fahren? Liebend gern hätte ich Silvester gemeinsam mit ihnen auf dem Sofa verbracht. Wir hätten uns lustige Hüte aufsetzen können, wir hätten ein paar Luftschlangen im Wohnzimmer verteilt und vor dem Fernseher literweise Sekt getrunken. Aber wahrscheinlich wären sie sowieso ausgegangen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Eltern häufiger ausgehen als ich. Warum habe ich keine Eltern, die Silvester zu Hause bleiben? So wie andere Eltern auch.
Ich beiße lustlos in mein Käsebrot. Die Familie im Haus gegenüber ist auch gerade dabei, zu Abend zu essen. Die bleiben Silvester bestimmt zu Hause, denke ich.
Ich bin kein großer Fan von Silvester. Dieses auf Knopfdruck heiter sein, und um Mitternacht liegen sich alle in den Armen. Ich kann
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