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Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Titel: Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Krahlisch
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weiterer Brauch ist es, um Mitternacht mit einem Koffer durch die Straßen zu laufen. Dieser Brauch soll bewirken, dass man im neuen Jahr auf eine Reise geht. Den Spaziergang mit einem Koffer sollte Heribert aber lieber unterlassen, er ist schließlich schon genug unterwegs. Aber von dem Brauch mit der gelben Unterwäsche sollte ich ihm vielleicht noch erzählen. Glück kann man schließlich nie genug haben.
    Beim Blick auf die Uhr erschrecke ich. Jetzt werfe ich meine Sachen in die Reisetasche, renne noch mal in die Küche, um die in Sirup eingelegten Hibiskusblüten zu holen. Fast hätte ich sie vergessen. Dabei hatte ich sie doch extra für Silvester aus Australien mitgebracht. Im vergangenen Jahr schwammen die Blüten in unseren Sektgläsern. Das fand ich toll. Ich ziehe mir schnell meine Stiefel an und laufe los. Als ich am Briefkasten vorbeikomme, halte ich kurz inne. Eigentlich habe ich keine Zeit, denke ich. Die Zeitung habe ich schon heute Morgen geholt. Sicher ist nichts Neues angekommen. Und falls doch, dann würde ich es eben morgen sehen. Während ich mich gedanklich schon gegen das Nachsehen entschieden habe, greift meine Hand ganz automatisch zum Schlüsselbund und öffnet den Briefkasten. Tatsächlich. Ich sehe einen kleinen weißen Briefumschlag. Die Adresse wurde von Hand geschrieben. Ich hole den Umschlag aus dem Briefkasten, drehe ihn um und sehe auf den Absender. Der Brief ist von Heribert. Ich kann es nicht glauben und starre einen Moment zu lange auf die Buchstaben. Schnell schließe ich den Briefkasten wieder und sehe auf die Uhr. Mein Bus fährt in weniger als drei Minuten. Ich renne los. In meiner rechten Hand halte ich den Umschlag noch immer fest umklammert. Ich habe Angst, den Brief zu verlieren, will ihn aber andererseits auch nicht zerknittern. Als ich um die Straßenecke biege, steht der Bus schon da. Ich haste das letzte Stück zur Haltestelle, steige ein und lasse mich auf den Sitz fallen. Überglücklich betrachte ich meinen Briefumschlag.

    Der ICE verlässt gerade Berlin. Ich sitze am Fenster, draußen ist alles weiß. Die Felder, Straßen und Häuser sind mit Schnee bedeckt. Der Platz neben mir ist frei. Ich höre Musik und hole den Briefumschlag vorsichtig aus meiner Tasche. Er ist noch immer verschlossen. Ich betrachte die Briefmarke. Berge sind darauf abgebildet, umgeben von Wolken und einem blauen Himmel. »USA« steht auf der Briefmarke, daneben ist ganz blass eine 98. Abgestempelt wurde der Brief am 27. Dezember in Jacksonville, Florida. Ich bin beeindruckt, wie schnell er in Berlin war. Ich versuche zu ertasten, wie viele Blätter sich in dem Umschlag befinden. Es sind mindestens zwei. Vielleicht sogar drei. Ich rieche an dem Papier, frage mich aber gleichzeitig, was ich da tue. Hoffentlich beobachtet mich niemand. Ich sehe mich im Zug um. Alle Leute sind mit sich selbst beschäftigt. Die meisten lesen, andere tippen auf ihren Telefonen oder Laptops herum, ein paar wenige haben die Augen geschlossen. Ich überlege, womit ich den Umschlag öffnen könnte, ohne ihn zu beschädigen. Er soll doch ordentlich aussehen, wenn ich ihn zu den anderen Briefen in die Holzkiste lege. Ich versuche es mit meinem Haustürschlüssel, merke aber ziemlich schnell, dass das nicht funktioniert. Die Zacken des Schlüssels zerfetzen das Papier. Dann fällt mir ein, dass ich in meiner Kosmetiktasche eine Nagelfeile habe müsste. Ich krame in meiner Tasche und werde schnell fündig. Ganz vorsichtig öffne ich nun den Umschlag. Es sind insgesamt drei A5-Blätter. Vorn und hinten beschrieben. Außerdem liegt in dem Umschlag ein Foto. Ich sehe mir das Foto an. Es ist ein Bild der Besatzung. »Merry Christmas« steht über den Köpfen geschrieben. Es ist eine Postkarte. Da hat sich jemand wirklich große Mühe gegeben, denke ich. 23 Männer sind auf dem Bild zu sehen. Heribert habe ich sofort gefunden. Er sieht gut aus. Er ist braungebrannt, er trägt einen Kinnbart und ist sehr schlank. Er kniet in der zweiten Reihe und lächelt fröhlich in die Kamera. Auch alle anderen lächeln. Wenn ich nicht wüsste, dass Heribert der Kapitän ist, würde ich es anhand dieses Fotos nie und nimmer erraten. Viele der anderen Männer sehen viel älter aus als er. Viele sind größer, breiter, stattlicher.
    Der Herr ganz links streckt stolz seinen Bierbauch in die Kamera. So stellt man sich einen Kapitän vor, denke ich. Oder so wie den Mann ganz hinten rechts. Mit einem langen weißen Rauschebart. Heribert hat

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