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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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war er erbracht.
    Was hatten die Leute mit ihr vor? Wie es schien, waren sie nicht an ihrem Tod interessiert. Sie korrigierte sich: nicht an ihrem schnellen Tod. Das war vorerst nicht weiter verwunderlich. Ziemlich sicher waren sie an Informationen interessiert, und die bekamen sie nur, solange sie lebte. Man würde sie eine Weile schmoren lassen, weichklopfen gewissermaßen. Umso bereitwilliger würde sie auspacken – dachten sie. Und danach?
    Danach würde man sie töten und verschwinden lassen. Entsorgen, wie es auf Neudeutsch hieß.
    Karin Winter stöhnte matt. Seit Stunden litt sie unter höllischen Rückenschmerzen, außerdem zog sich in immer kürzeren Abständen ihr Magen krampfartig zusammen.
    Das Schlimmste aber war der entsetzliche Durst.
    Sie war erneut in einen Dämmerschlaf gefallen. Als sie wieder zu sich kam, hatte das Tageslicht bereits nachgelassen, es wurde langsam Nacht.
    Plötzlich glaubte sie, von draußen ein schwaches Geräusch zu hören. Und wirklich: Unweit des Hauses erstarb ein Motor, eine Wagentür wurde zugeschlagen, feste Schritte kamen näher. Ihr Kerkermeister? Oder nahte gar ihre Befreiung? Reglos lag sie da, unfähig, sich zu rühren.
    Dann, ganz unvermittelt, erklangen schabende Geräusche, umständlich wurde ein Schlüssel in ein Schloss gesteckt, eine Kette klirrte, quietschend schwang die Tür zu ihrer Rechten auf.
    Hatte sie diese Geräusche nicht eben noch herbeigesehnt? Nun, da sie erklangen, verzog sie schmerzhaft das Gesicht. Zwischen Angst und Hoffnung hin- und hergerissen, richtete sie den Oberkörper etwas auf und sah zur Tür.
    Vorsichtig betrat ein Mann den Raum. Er war mittelgroß, schlank und sportlich gekleidet, so viel war bei den widrigen Lichtverhältnissen immerhin zu erkennen. Als er näher herankam, sah sie sein Gesicht, dabei fiel ihr vor allem die große Hakennase auf.
    »Verdammt, Sie sollen liegen bleiben«, herrschte er sie an. Als sie der Aufforderung nicht schnell genug Folge leistete, erhielt sie einen Schlag vor die Brust, der sie nach hinten warf. Nur mit Mühe konnte sie einen Schmerzenslaut unterdrücken. Der Mann bückte sich und stellte etwas auf dem Boden ab, ein Glas Wasser, dazu einen Pappteller mit einem trockenen Brötchen. Dann richtete er sich wieder auf und beobachtete sie schweigend.
    Obwohl sie entschlossen gewesen war, sich keine Blöße zu geben, konnte sie nicht widerstehen. Mit zitternden Händen griff sie nach dem Glas, um ein Haar hätte sie es umgeworfen. Gierig setzte sie es an die Lippen und trank und trank, bis sie sich verschluckte und zu husten begann.
    »Wer sind Sie? Was haben Sie mit mir vor?«, krächzte sie, als sie das Glas zurückgestellt und ihr Atem sich etwas beruhigt hatte. Ihre Hilflosigkeit schnürte ihr die Kehle zu.
    » Ich  stelle hier die Fragen, Señora«, antwortete der Mann. Als wolle er die herrschenden Machtverhältnisse unterstreichen, stieß er Karin die Spitze seines Schuhs in die Seite. Während sie den Schmerz verbiss, registrierte ihr Kopf, dass auch dieser Mann, von der angehängten spanischen Anrede einmal abgesehen, ein astreines Schriftdeutsch sprach.
    »Sie kommen aus Überlingen und arbeiten für den ›Seekurier‹, richtig?«
    Mit einem Nicken bejahte sie seine Frage.
    Ohne die Stimme zu heben, verlangte er: »Antworten Sie laut und deutlich, wenn ich Sie etwas frage.«
    Hatte der Kerl etwa ein Aufnahmegerät laufen? Noch während sie sich das fragte, hob er abermals den Fuß. Doch diesmal war sie auf der Hut. Ihre Hände fuhren nach vorn und bekamen den Schuh zu fassen – ein Dreh, und der Mann lag vor ihr im Staub.
    Schon im nächsten Moment bereute sie ihre Handlung. Was konnte sie durch solche Spielchen gewinnen? Sie war angekettet – wie sollte sie da aus seiner Unachtsamkeit einen Vorteil ziehen? Sie würde ihn auf diese Weise nur noch mehr gegen sich aufbringen.
    Doch da irrte sie. Anders als erwartet, war er zwar rasch wieder auf den Beinen, doch die Lust auf weitere Quälereien schien ihm vorerst vergangen. Ihre Verblüffung wuchs, als sie seine Miene betrachtete, denn sein bislang ausdrucksloses Gesicht hatte sich zu einem schiefen Lächeln verzogen. Noch während er sich – jetzt in sicherem Abstand – den Staub von der Kleidung klopfte, meinte er anerkennend: »Nicht schlecht, meine Liebe, wirklich nicht schlecht. Aber es wird Ihnen nichts nützen. Sie kommen hier nicht raus.«
    Er trat einen Schritt näher und sah auf sie hinab, das Gesicht nun wieder ausdruckslos

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