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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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vielleicht sogar ein Blutbad anrichten?
    Hatte er eine Chance, eine winzige Chance, seinen Kopf noch rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen?
    Ein Plan spukte durch seinen Kopf, schemenhaft zuerst, dann mehr und mehr Gestalt annehmend. Was, wenn er den Wagen in voller Fahrt auf die Gegenfahrbahn steuern und durch gleichzeitiges Ziehen der Handbremse kontrolliert zum Schleudern bringen würde? Einen   Powerslide   machte, wie die Fachleute der Verkehrswacht, bei denen er hin und wieder ein Sicherheitstraining absolvierte, es nannten. Mitfahrende Trainingsteilnehmer hatten ihm von einer vorübergehenden Orientierungslosigkeit berichtet; zumindest für kurze Zeit waren sie »geistig weggetreten« gewesen, wie sie es ausgedrückt hatten. Vielleicht konnte er sich diesen Effekt ja zunutze machen?
    Der Kidnapper platzte in seine Gedanken. Offensichtlich hatte er einen Entschluss gefasst. »Fahr sofort rechts ran«, verlangte er, ein Wink mit der Waffe unterstrich seine Forderung.
    Sahin tat, als hätte er nicht richtig verstanden. »Was haben Sie gesagt?«
    »Sofort anhalten!« Die Stimme des Kidnappers war laut geworden und drohte, sich zu überschlagen.
    Als Sahin nicht gleich reagierte, verlor der Kidnapper die Kontrolle. Mit einem unartikulierten Schrei schnellte er nach vorn und presste ihm die Waffe an die Schläfe, während er gleichzeitig mit der anderen Hand ins Lenkrad griff und es nach außen riss.
    »Sind Sie verrückt geworden?«, brüllte Sahin. Verzweifelt versuchte er, die Hand vom Lenkrad zu schieben, während er gleichzeitig auf die Bremse trat. Doch es war bereits zu spät, der Wagen war längst aus der Spur geraten, schlingerte ungelenkt auf eine Baumgruppe zu und touchierte mit dem Heck eine kräftige Birke, wodurch er, wie von einer Riesenfaust getroffen, um die eigene Achse geschleudert wurde, bis er schließlich in dichtem Buschwerk zum Stehen kam. Doch da war Sahin längst nicht mehr bei Bewusstsein.
    Mit heftigen Schmerzen im Brustkorb kam er wenig später wieder zu sich. Der Gurt hatte seine Schuldigkeit getan und ihn den Fliehkräften zum Trotz mit eisernem Griff im Sitz gehalten. Eher beiläufig registrierte er, dass die Airbags nicht aufgegangen waren. Egal, der Wagen war ohnehin nur noch ein armseliger Schrotthaufen. Von außen wurde die Wagentür aufgerissen, das Gesicht des Kidnappers erschien über ihm. Die Sturmhaube war infolge des Unfalls nach hinten gerutscht.
    »Wir sprechen uns noch, Kleiner«, prophezeite er. Dann schlug die Tür von außen zu.
    »He, was soll das?«, rief ihm Sahin hinterher. Fluchend richtete er sich auf. Durchs Fenster bekam er gerade noch mit, wie der Entführer auf den Sozius der Yamaha  TR 1 kletterte.
    Die Maschine bäumte sich auf, als hätte der Fahrer ihr die Sporen gegeben, und wie ein Kugelhagel spritzten Steine und Dreck auf den Cayenne. Sekunden später hatte die Dunkelheit das Motorrad verschluckt.
    Sahin sank in seinen Sitz zurück und schloss die Augen. Ein spöttisches Lächeln verklärte sein Gesicht. Wie ein Mantra brabbelte er leise etwas vor sich hin, immer und immer wieder. Er würde sich das Kennzeichen der Maschine so fest einprägen, dass er es bis in alle Ewigkeit nicht wieder vergessen konnte.
    Einer der beiden Einsatzwagen, die dem Cayenne auf der Landesstraße aus Richtung Markdorf entgegengekommen waren, stoppte, zwei Uniformierte stiegen aus und überquerten im zuckenden Blaulicht die Fahrbahn. Gleich darauf erreichten sie das Gebüsch, in das sich der Cayenne gebohrt hatte.
    Während der Jüngere der beiden das Wrack in Augenschein nahm, musterte der Ältere Sahin, der sich über den Beifahrersitz aus dem Wagen quälte, weil sich die Fahrertür verklemmt hatte.
    »Was ist passiert? Haben Sie die Kontrolle über Ihren Wagen verloren?«, fragte er.
    »Wie kommen Sie darauf? Ich parke immer so«, antwortete Sahin schnippisch. Wie konnte man nur so dämlich fragen? Hatte der Kerl auch nur die geringste Vorstellung davon, was er bis vor wenigen Sekunden hatte ertragen müssen? Vermutlich war ihm nicht mal das vom Unfallort flüchtende Motorrad aufgefallen. Typisch Beamter!
    Der blau Uniformierte sah ihn misstrauisch an. »Haben Sie getrunken? Bitte zeigen Sie mir mal Ihre Papiere.«
    »Getrunken?«, rief Sahin empört, während er in der Innentasche seines Sakkos nach seinen Papieren suchte. »Mann, ich bin das Opfer einer Entführung. Diesen Schrotthaufen hier hat der Täter auf dem Gewissen, und ums Haar hätte es mich ebenfalls
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