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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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fast ausweglose Situation unerträglich belastete, musste er beinahe grinsen – bis ihm einfiel, dass seine Mimik ihn verraten konnte. Er warf wie beiläufig einen Blick in den Rückspiegel. Entwarnung. Nach wie vor starrte der Entführer ausdruckslos nach vorn.
    Etwas anderes jedoch erregte Sahins Aufmerksamkeit. Eigenartigerweise hatten sie noch immer das Motorrad im Schlepptau. Es schien sich um eine rote Yamaha   TR 1 zu handeln. Warum war sie nicht längst vorbeigezogen?
    Und was war das für ein Blinklicht, das da, im Moment noch weit entfernt, hinter ihnen aufblitzte? Polizei? Ein Rettungsdienst? Meter um Meter holte der Wagen auf, und es dauerte gar nicht lange, bis das an- und abschwellende Heulen des Martinshorns zu hören war. Nach und nach konnte er im flackernden Blaulicht die charakteristische Farbgebung der Polizeifahrzeuge ausmachen.
    Die Bullen.
    Die schickte der Himmel.
    Was Wunder, dass der Kidnapper jetzt zunehmend in Unruhe geriet. In immer kürzeren Abständen wandte er sich um. »Mach schneller«, drängte er barsch. Er verstärkte seine Aufforderung durch einen Stoß mit der Waffe.
    »Ja, wie denn? Mehr gibt die Mühle leider nicht her.« Entschlossen presste Sahin die Zähne zusammen. Die Bullen abschütteln? Den Teufel würde er tun, auch wenn er sich ihr Auftauchen im Moment nicht erklären konnte.
    Sie passierten die Ausfahrt zur Kläranlage. Bis zur Ausfahrt Markdorf waren es noch wenige hundert Meter.
    »Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Seit wann zählt ein Cayenne zu den lahmen Mühlen?« Der Ärger in der Stimme des Entführers war nicht zu überhören. Schärfer werdend fuhr er fort: »Pass auf, mein Freund: Entweder du zeigst jetzt den Bullen, was ’ne Harke ist, oder ich blase dir das Lebenslicht aus. Haben wir uns verstanden?«
    Der Drohung folgte ein ohrenbetäubender Knall, und die Scheibe der Beifahrertür zersprang in tausend Bruchstücke. Glassplitter wirbelten im Fahrtwind durch den Innenraum, und Pulvergestank machte sich breit.
    »Nur, falls du gedacht hast, ich hätte eine Spielzeugpistole«, fauchte der Entführer.
    Vor Schreck hatte Sahin das Steuer verrissen, nur mit Mühe fand der Wagen in die Spur zurück. »Es … es geht wirklich nicht schneller«, stotterte er kreidebleich.
    Der Kidnapper deutete nach rechts. »Nimm die Ausfahrt«, stieß er hastig hervor. »Und keine Tricks, verstanden? Ich hab dich im Visier.«
    Die Ausfahrt nach Markdorf? Wie sollte er das noch schaffen? An der fuhren sie doch gerade vorbei. Aber hatte er eine Wahl? Ja … zwischen Pest und Cholera! Entweder endete es in einen Crash oder mit einer Kugel des durchgeknallten Kidnappers.
    Er schloss die Augen und zog das Steuer hart nach rechts, obwohl seine Hände zitterten und sein Magen sich krampfhaft zusammenzog.
    Sofort brach das Heck des schweren Wagens linksseitig aus. Karussellgleich drehte sich der Cayenne um die eigene Achse, bevor er, von einer Serie ruppiger Stöße unterbrochen und noch immer gefährlich schnell, über das Grasbankett schlitterte, um sich schließlich, kurz vor der Einmündung in die L207, überraschenderweise doch noch zu fangen. Zum Glück waren um diese Zeit nur wenige Autos unterwegs, sodass Sahin sich gefahrlos einfädeln konnte.
    Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, und doch war es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.
    Geschafft! Er hatte es tatsächlich geschafft!
    Eine Zentnerlast fiel ihm vom Herzen. Er warf einen schnellen Blick in den Rückspiegel. Der Motorradfahrer war noch immer da, aber die Bullen hatten die Ausfahrt offensichtlich verpasst. Verdammt! Wenn man die Arschlöcher   einmal   brauchte!
    Der Kidnapper schien mit dem Ausgang des Manövers zufrieden zu sein. »Na also, geht doch«, verkündete er.
    Seine Freude war allerdings nur von kurzer Dauer, bereits im nächsten Moment schlug sie in Bestürzung um. Die Ursache für seinen Stimmungswandel war leicht auszumachen: Aus Richtung Markdorf kamen ihnen in hohem Tempo zwei Einsatzfahrzeuge entgegen, mit zuckenden Blaulichtern und gellendem Martinshorn. Schon in Kürze würden sie sie erreicht haben.
    Mit zwiespältigen Gefühlen starrte Sahin den Blaulichtern entgegen. Waren sie wirklich zu seiner Befreiung ausgerückt? Und wenn ja: Wer, in Teufels Namen, hatte sie alarmiert? Wie würde sich der Kidnapper verhalten, wenn sie ihn stellten? Würde er die Aussichtslosigkeit seiner Flucht akzeptieren oder – mit seinem Opfer als Schutzschild – zu entkommen versuchen,
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