Seeraeuber vor Sylt
herum nichts anderes als das unendliche Meer und der Nebel. Broder zog sein Ruder ins Boot.
»Es hat keinen Sinn«, sagte er. »Es ist besser, wenn wir unsere Kräfte schonen.«
Während sie in dem grauen Dunst vor sich hin dümpelten, verloren sie jedes Gefühl für Zeit und Raum. Wie lange waren sie jetzt schon unterwegs? Wie weit mochten sie abgetrieben sein? Mindestens zwei Stunden war noch Flut und Broder rechnete damit, dass sie immerhin nicht aufs offene Meer gezogen wurden – falls es keine starken Strömungen gab.
Der Nebel und die feuchte Kälte, die ihnen bis in die Knochen drang, machten sie mutlos. Sie rückten dicht aneinander, um sich zu wärmen und zu trösten.Vielleicht sollten sie doch lieber wieder rudern, um warm zu werden?
Plötzlich hob Broder den Kopf.
»Was ist?«, fragte Jaike. »Hast du etwas gesehen?«
»Nein.« Broder sog die Luft kräftig durch die Nase ein. »Aber gerochen! Merkst du es nicht?«
Jaike schnupperte ebenfalls. Ja, Broder hatte recht! In die salzige Meeresluft hatte sich ein Geruch gemischt, der ihr bekannt vorkam. Was war das?
Broders Gesicht leuchtete. »Die Torffeuer!«, rief er. »Wir müssen in der Nähe der Inseln sein …« Mit ausgestrecktem Arm deutete er nach links. »Von dort kommt der Geruch. Dort müssen wir hin!« Er packte sein Ruder und stieß es in die Wellen. »Was für ein Glück! Ach, ich liebe den stinkigen Torf!«
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In letzter Sekunde
Das Glück blieb ihnen treu. Sie landeten nicht auf irgendeiner der vielen kleinen Inseln vor der Küste, sondern an der Nordspitze von Amrum. Von dort aus war es nur ein Klacks nach Sylt hinüber. Und als sie an der lang gestreckten Sylter Küste hochfuhren, da klarte es auch noch auf.
»Gott ist mit uns«, sagte Jaike. Sie lächelte. War das nicht ein Beweis dafür, dass sie den richtigen Entschluss gefasst hatten?
Broder war stolz, den richtigen Kurs gehalten zu haben. Und er freute sich so, die Heimat wiederzusehen, dass er ganz übermütig war. »Am liebsten würde ich den ollen Pidder erschrecken und so tun, als ob wir direkt aus Ekke Nekkepenns Meerespalast aufgestiegen sind«, sagte er. »Der wird Augen machen. Es denken doch alle, dass wir im Sturm ertrunken sind.«
Jaike kräuselte die Stirn. »Wir haben keine Zeit für Pidder. Und auch Mutter muss warten. Wenn wir erst mal an Land gehen, lassen sie uns bestimmtnicht wieder ziehen. Nein, wir müssen sofort zu Tades Eiland.«
Als sie auf der Höhe des Strands von Rantum waren, hielten sie nach der Sandbank Ausschau. Mittlerweile war Ebbe und so entdeckten sie bald, wonach sie suchten.
»Da ist es!«, rief Jaike. »Die Truhe ist natürlich längst nicht mehr da.«
So schnell sie es mit ihren müden Armen konnten, ruderten sie auf die Sandbank zu und sprangen an Land.
Broder stemmte die Fäuste in die Seiten. »Wo sollen wir jetzt graben?«, fragte er.
Jaike musterte die Sandbank und ging dann entschlossen auf die Stelle zu, die ihr am wahrscheinlichsten erschien. »Ich grabe hier und du einen Meter weiter links«, beschloss sie.
Und so buddelten sie mit den nackten Händen. Sie gruben und schaufelten und durchwühlten den Sand. Längst war die Sonne untergegangen und ein blasser Mond stand am Himmel. Das Meer um sie herum begann allmählich zu steigen.
»Die Flut kommt«, sagte Broder. »Wir müssen uns beeilen.«
Im selben Moment stieß Jaike einen Freudenschreiaus. »Hier ist es! Ich hab den Dolch gefunden!« Sie begann wie ein Hund zu graben, sodass der Sand nur so spritzte.
Wenig später lag alles vor ihnen: der wunderschöne Spiegel, der silberne Dolch mit dem Elfenbeingriff und das Säckchen mit den Goldtalern. Ehrfürchtig betrachteten sie ihre Schätze.
»Sieh nur«, sagte Broder und strich mit dem Finger über den Griff des Dolches. »Das Wappen …« Es waren zwei verschlungene Buchstaben zu sehen. Und obwohl Broder nicht lesen konnte, erkannte er diese beiden Zeichen.
»Zweimal H … wie in Hörnum«, murmelte er.
Jaike nahm ihm den Dolch aus der Hand. »Oder H … wie in Heinrich von Holstein …«
Broder schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Die Kiste! Sie stammt von dem Schiff des Grafen! Deshalb haben die Piraten kein Gold auf dem Schiff gefunden. Die Männer des Grafen müssen die Kiste ins Meer geworfen haben, als die Piraten kamen.«
Jaike ließ sich erschöpft in den Sand fallen. »Wenn sie das nicht getan hätten, wären Gerhard und sein Vater getötet worden. Die Piraten hätten dann ja ihren
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