Seeteufel
komplizierter, als sie ursprünglich angenommen hatten; von einer Lösung waren sie noch Meilen entfernt. Dennoch oder gerade deswegen musste er zähneknirschend akzeptieren, dass Wolf genau das brauchte, was sie am wenigsten hatten: Zeit.
»Hat Frau Winter den Anschlag schadlos überstanden?«, fragte Sommer, während Wolf bereits wieder der Tür zustrebte.
Mit wenigen Worten informierte Wolf ihn über das Geschehen im Hödinger Wald. Dabei hob er besonders den anonymen Anruf hervor, dem die Rettung der Journalistin zu verdanken war. Zu seiner Verwunderung ging Sommer jedoch nicht näher darauf ein.
Als Wolf fast eine Stunde später als geplant in sein Büro zurückkehrte, atmeten Jo und Vögelein hörbar auf. Wolf überhörte es geflissentlich; Polizisten verbrachten nun mal einen nicht unerheblichen Teil ihrer Dienstzeit mit Warten, das war schon immer so. Was ihm weit mehr zu schaffen machte, war die durch sein Zuspätkommen gänzlich unnötig verzögerte Einvernahme dieses Bretschwiler. Von dessen Aussage hing schlieÃlich Entscheidendes ab. Sollte sich der Verdacht bestätigten, dass er als einer der Apothekenräuber mit den Ãberlinger Arsenmördern unter einer Decke steckte, möglicherweise sogar als Kopf des Ganzen fungierte â dann wären sie der Lösung des Falles weit näher, als sie es sich noch vor einer Stunde hätten vorstellen können.
*Â *Â *
Der Dienstwagen der Ãberlinger Kripo preschte die steile Turmgasse hinauf, bog kurz vor ihrem Ende in eine enge Einfahrt ein und kam in dem dahinterliegenden Innenhof gerade noch rechtzeitig zum Stehen, ehe er einen der dort abgestellten Wagen touchierte.
Drei Türen sprangen gleichzeitig auf, und im Stechschritt eilten Wolf, Jo und Vögelein auf die Treppe zu, die zum Eingang des stattlichen, rosenüberwucherten Fachwerkgebäudes hinaufführte. Als Erster erreichte Wolf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Eingangstür. Dann standen sie auch schon in dem düsteren, hallenartigen Innenraum.
Wieder schwebten, gregorianischen Chorälen gleich, seltsame Klänge durch den Raum, wieder verbreiteten unzählige Kerzen an den Längswänden ein flackerndes Licht. Ganz im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch jedoch war keine Menschenseele zu sehen. Waren die Vögel ausgeflogen?
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
Wolf fuhr herum. Wie aus dem Nichts war plötzlich ein Mann hinter ihnen aufgetaucht. Während Wolf seinen Dienstausweis aus einer Jackentasche fischte, taxierte er die vor ihm stehende Gestalt. Mittelgroà und offenbar gut trainiert, die dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hielt der Mann die Arme vor der Brust verschränkt und sah sie fragend an. Sein drahtiger Körper wurde von einem schwarzen Leinenanzug umhüllt, der, dem Gewand eines Judokämpfers ähnlich, in der Taille von einem ebenfalls schwarzen Stoffgürtel zusammengehalten wurde. An den FüÃen trug er leichte Gymnastikschuhe mit Gummisohlen. Das war wohl auch der Grund, weswegen sie sein Kommen nicht gehört hatten.
»Guten Tag«, sagte Wolf und überlegte krampfhaft, wo er dem Mann schon einmal begegnet war. »Ich bin Hauptkommissar Wolf von der Kripo Ãberlingen.« Er hielt seinen Ausweis hoch. »Das sind meine Kollegen Louredo und Vögelein. Wir haben im Zuge bestimmter Ermittlungen ein paar Fragen an Herrn Bretschwiler. Geht das?«
Wolf hielt nichts davon, Verdächtige bereits im Vorfeld gegen sich aufzubringen. Nach seiner Erfahrung hätte er sich damit nur selbst geschadet, schlieÃlich war er derjenige, der rasch und ohne groÃe Schwierigkeiten an Informationen gelangen wollte. Sollten sich die Befragten nicht äuÃern oder erkennbar lügen, konnte er immer noch die Daumenschrauben anziehen. Aus diesem Grund schlug er einen konzilianten Ton an, auch wenn Jo und Vögelein verwundert die Augenbrauen hochzogen â wo er doch selbst die Parole ausgegeben hatte, ab sofort die Samthandschuhe auszuziehen.
Die Antwort des Mannes schien ihm recht zu geben. »Bitte warten Sie hier. Ich werde Herrn Bretschwiler â¦Â«Â â er betonte den Namen, als hätte er ihn zum ersten Mal gehört â »â¦Â über Ihren Besuch unterrichten und ihn fragen.« Damit verschwand er im hinteren Teil des Raumes, von wo aus, im Zwielicht kaum erkennbar, eine Treppe in den Keller und in die
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