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Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Frühstück gewesen. Ein trockenes Stück Graubrot, eine letzte Scheibe Salami, mehr gab sein Kühlschrank leider nicht her – sah man einmal von dem reichlich vorhandenen Pflaumenmus ab, das er seit Wochen von einem Fach in das andere schob, ohne dass es auch nur ein Quäntchen weniger geworden wäre. Ausgerechnet Pflaumenmus! Er hasste Pflaumenmus. Mehrfach war er nahe daran gewesen, es klammheimlich zu entsorgen, wenn … ja, wenn da nicht die gute Frau Öchsle gewesen wäre.
    Die Nachbarin aus der Wohnung unter ihm war eine leidenschaftliche, wenn auch anspruchslose Krimileserin, die den Grad der Spannung ausschließlich an der Zahl der Leichen zu bemessen pflegte, die der Autor in seinem Werk produzierte. Kichernd ließ sich die treuherzige, zur Pummeligkeit neigende Witwe über die abstrusesten Mordarten aus, wollte Wolfs Meinung dazu wissen und horchte ihn nach ähnlichen Fällen aus seiner Praxis aus. Eine Zeit lang hatte er sie sogar im Verdacht, selbst Mordgeschichten zu schreiben. Hermine Öchsle hatte sich vor einem halben Jahr ungefragt angeboten, bei ihm »ein bisschen nach dem Rechten zu sehen«. Nein, nicht angeboten, regelrecht aufgedrängt hatte sie sich. Einmal die Woche, nur für zwei, drei Stunden, hatte sie gesagt und den folgenschweren Satz mit einem treuherzigen Augenaufschlag unterstrichen. Zögernd hatte Wolf zugestimmt.
    Ein Fehler, wie sich bald zeigen sollte. Nicht, dass an ihrer Arbeit irgendetwas auszusetzen gewesen wäre. Sie putzte, spülte das Geschirr, leerte die überquellenden Aschenbecher, kurz: Sie brachte Ordnung in seinen Haushalt. Auch war sie ihm bisher weder durch übermäßige Neugierde noch durch nervtötendes Plappern auf die Nerven gegangen. Und die Marotte, ständig seine Zigaretten zu verstecken, nahm er als das, was es vermutlich war, nämlich als Sorge um seine Gesundheit. Dass Fiona, seine Katze, einen Narren an ihr gefressen hatte, wurmte ihn zwar, aber Katzen, das wusste man ja, waren von Haus aus untreu.
    Doch so sehr er sich im Laufe der letzten Monate auch an sein Heinzelmännchen – oder hieß es in diesem Fall Heinzelfrauchen? – gewöhnt hatte, an eines würde er sich nie gewöhnen: an die regelmäßigen Mitbringsel in Form von selbstgemachtem Pflaumenmus. Erdbeeren ja, Ananas ja, selbst Quitten, Holunder und sogar Mispeln … aber Pflaumen? Das Zeug sah aus wie Karrenschmiere, und genauso schmeckte es auch, fand er. Er würde bei nächster Gelegenheit ein paar Worte mit Frau Öchsle wechseln müssen.
    Jetzt aber musste er erst mal seinen Hunger stillen. Kaum war er wieder ins »Aquarium« eingetaucht, führte ihn sein erster Weg in die Kantine. Er wusste, für ein warmes Essen fehlte die Zeit, womöglich hätte er auch nichts mehr bekommen, es war schließlich schon nach drei. Na und? Nahm er eben wieder einen »Lkw«, mit reichlich Zwiebeln und Senf.
    Schon bei dem Gedanken an den Leberkäsweck in seiner Hand lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Was Wunder, dass ihm die Treppe in den zweiten Stock heute länger vorkam als sonst. Wäre ihm auf dem Weg nach oben nicht der eine oder andere Kollege begegnet, er hätte den »Lkw« stante pede verputzt.
    Oben angekommen, informierte er zunächst Jo und Vögelein über seine Rückkehr. Er trug ihnen auf, in den nächsten zehn Minuten jede Störung von ihm fernzuhalten und wies verständnisheischend auf den Leberkäsweck.
    In weniger als zehn Minuten hatte er das Monstrum vertilgt. Er öffnete den Büroschrank, entnahm den Ordner mit der Aufschrift »Sonderfälle« und goss aus der Flasche, die dahinter stand, einen ordentlichen Schluck in seine Kaffeetasse. Wie einen kostbaren Schatz umschloss er die Tasse mit beiden Händen, lehnte sich mit dem Ausdruck größten Behagens in seinen Stuhl zurück und nippte an der hellbraunen, milchigen Flüssigkeit.
    Wolf genoss seinen Pastis selbstredend nicht pur, sondern, wie es sich gehörte, im Verhältnis 1   :   8. Seine Vorliebe für den aus Frankreich kommenden Anisschnaps entsprang seiner über Jahre gepflegten frankophilen Neigung, die er mit jeder Reise ins westliche Nachbarland aufs Neue belebte und der eine Reihe weiterer, nicht minder skurriler Marotten geschuldet war, darunter sein über alles geliebtes Barett oder auch die Vorliebe für schwarze, filterlose

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