Seeteufel
Teile hatte er noch nie gut vertragen. Schon der Geruch verursachte ihm Ãbelkeit.
»Hab schon verstanden«, nickte Dr.  Reichmann nach einem kurzen Blick in Wolfs Gesicht und verkniff sich ein Schmunzeln. »Ich will versuchen, Ihnen das Obduktionsergebnis verbal nahezubringen. Zunächst zu den beiden Obdachlosen, die heute früh von den Fischern gefunden wurden. Die Diagnose meines Kollegen vor Ort war richtig und doch falsch. Richtig insofern, als die beiden Männer stark alkoholisiert waren, genauer gesagt 3,8 beziehungsweise 4,2 Promille Alkohol im Blut hatten â¦Â«
»Spricht man da nicht bereits von einer Alkoholvergiftung?«
»Könnte man sagen, wenngleich die Grenzen flieÃend sind. Manche fallen bereits mit 2,5 Promille ins Koma, andere erst mit acht oder zehn. Diese Männer hier waren, wie der Volksmund so schön sagt, geeicht, das heiÃt: Ihr Körper war an den permanenten Alkoholkonsum gewöhnt. Im Grunde aber ist das unerheblich, genauso wie die Auskühlung der Körper infolge der derzeit herrschenden Nachttemperaturen auf dem Wasser. Beides war für ihren Tod nicht verantwortlich.«
»Würden Sie bitte auf den Punkt kommen, Verehrteste?«, drängte Wolf. »Entschuldigen Sie, aber mir läuft die Zeit davon.«
Die Pathologin drohte schelmisch mit dem rechten Zeigefinger. »Leo, Leo! Sie haben noch ein Date im Gasthof âºKroneâ¹, geben Sieâs zu!«
»Schön wärâs! Wir können uns später gerne dort treffen. Aber ich muss Sie warnen: Bei mir kannâs Mitternacht werden. Hab vorher noch etwas Dienstliches zu erledigen. Also?«
»Nun denn, ich will es kurz machen«, erwiderte Dr.  Reichmann, ohne auf sein Angebot näher einzugehen. »Die Untersuchung der Magen- und Darmtrakte und ganz besonders der Schleimhäute, im Besonderen aber der Zustand von Leber und Milz und vor allem der Nieren lassen nur einen Schluss zu. Die beiden Männer wurden vergiftet.«
»Vergiftet? Wieso vergiftet? Und mit was, wenn ich fragen darf?« Wolf war perplex, damit hatte er nicht gerechnet.
»Sie werden es nicht für möglich halten: Arsen.«
»Arsen?«
»Die vorläufige chemisch-analytische Untersuchung der genannten Körperteile sowie der Haare und der Fingernägel ist ganz eindeutig. Arsen â oder, um genau zu sein, Arsentrioxid, eine besonders toxische Spielart â ist sofort löslich und absolut geschmacks- und geruchsneutral. Sie bemerken von dem Gift zunächst nicht die Bohne, dennoch wirkt es garantiert tödlich. Die Männer müssen während ihrer letzten Stunden furchtbar gelitten haben. Zerebrale Krämpfe und gastrointestinale Beschwerden wie Ãbelkeit, Erbrechen und Durchfälle wechseln einander ab, später kommen Koliken und Blutungen hinzu, im Endstadium schlieÃlich Nieren- und Kreislaufversagen.«
»Haben Sie eine Idee, wie es ihnen verabreicht worden sein könnte?«
»Aber sicher. Aufgelöst in Alkohol.«
»Alkohol?«
»Vermutlich Wodka.«
Sofort hatte Wolf die Flasche vor Augen, die Vögelein in dem Kellerraum des ehemaligen Baumarktes gefunden hatte. Womöglich hatten sie, ohne es zu ahnen, die Tatwaffe gesichert. Immerhin gehörte Wodka Gorbatschow nicht zu dem Billigfusel, den Obdachlose sonst tranken. Könnte also sein, dass die Flasche vom Mörder »gesponsert« worden war. Das war doch schon was! Am liebsten hätte Wolf der Pathologin einen Schmatz gegeben. Gleichzeitig beschäftigte ihn eine Reihe von Fragen, die sich aus der neuen Sachlage ergaben und deren Beantwortung für das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung war.
»Wie kommt man an Arsen? Und wie viel davon ist nötig, um zwei Menschen auf diese Weise ins Jenseits zu befördern?«
»Tja, wie kommt man an das âºWeiÃe Giftâ¹? Fragen Sie mich was Leichteres, Leo. Eigentlich fällt das doch eher in Ihr Fachgebiet, oder? Da ist Ihre zweite Frage erheblich leichter zu beantworten. Schon sechzig Milligramm Arsenik wirken, je nach Alter und Konstitution des Betroffenen, tödlich. Man muss sich das mal reinziehen: eine Dosis, kleiner als ein Fliegenschiss!«
Wolf, die Hände in den Taschen und den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet, umrundete nachdenklich den Edelstahltisch. SchlieÃlich machte er vor der Pathologin halt. »Lässt sich etwas zum ungefähren
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