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Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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schnell auch dessen Schattenseiten kennen: ständiger Termindruck, permanente Überlastung, so gut wie keine Freizeit mehr. Daran war letztlich sogar seine Ehe gescheitert. Auch seine persönlichen Neigungen, vor allem die Liebe zur Musik, blieben auf der Strecke. Nichts mehr mit Konzerten, Soireen, Matineen – das enge Zeitkorsett des Redaktionsbetriebes verbot nur allzu oft jede kulturelle Ambition. Gut, sein Arbeitstag begann erst morgens um neun, aber dafür zog er sich nicht selten bis Mitternacht hin.
    Umso dankbarer war er, heute nach »nur« zwölf Arbeitsstunden dem hektischen Zeitungsbetrieb entfliehen zu können. Auf dem kürzesten Weg fuhr er nach Hause, um eine Kleinigkeit zu essen und sich alsbald seinem Lieblingshobby hinzugeben, das er gewissenhaft vor den Kollegen geheim hielt: dem Dirigieren höchst anspruchsvoller Konzerte – je anspruchsvoller, desto besser! Wann immer er konnte, schwang er leidenschaftlich den Taktstock – nach den Klängen einer voll aufgedrehten CD und mit einem Körpereinsatz, der selbst einen Karajan vor Neid hätte erblassen lassen. Wenn er schon seine geliebte Musik nicht live erleben konnte, dann sollte sie ihm wenigstens auf diese Art etwas Lustgewinn verschaffen.
    So kam es, dass er, mitten im zweiten Akt von Orpheus in der Unterwelt, heftig mit den Armen ruderte, dabei mit beschwörenden Blicken die Streicher zu einem Crescendo anfeuerte und gleichzeitig die Klarinetten anwies, sich zurückzunehmen – als es unvermittelt an seiner Haustür klingelte.
    Unwillig öffnete er. Draußen stand Karin Winter. Ohne ein Wort zu sagen, drängte sie sich an ihm vorbei, marschierte bar jeder Ehrfurcht in sein Wohnzimmer – pardon: seinen Konzertsaal! – und drehte die Hi-Fi-Anlage leiser.
    Â»Du beschallst das ganze Viertel«, erklärte sie, um übergangslos hinzuzufügen: »Es gibt Neuigkeiten!«
    Â»Hat das nicht Zeit bis morgen?«, nölte Matuschek.
    Â»Hat es nicht. Inzwischen gibt es nämlich einen dritten Toten, wieder einen Wohnsitzlosen.«
    Â»Na und? Davon haben wir nachgerade genug.«
    Â»Dir wird der Sarkasmus schon noch vergehen.« Mit wenigen Worten schilderte sie ihm das Geschehen vom Gondelhafen. »Und wenn du mich fragst, dann geht da was nicht mit rechten Dingen zu. Drei tote Penner innerhalb eines Tages – willst du da noch von Zufall reden? Der dritte war übrigens Otto.«
    Â»Der Lungenkranke aus deiner Reportage? Armes Schwein.«
    Â»Bei Gott, das war er.«
    Â»Und was steckt deiner Meinung nach dahinter?«
    Â»Weiß ich noch nicht. Allerdings war unter den Gaffern noch ein anderer Stadtstreicher – ein Mann, den ich noch nie gesehen, geschweige denn seinerzeit für unsere Reportage interviewt habe. Nachdem Wolf ihn sich vorgeknöpft hatte, hat er auffällig schnell das Weite gesucht. Ich konnte kaum Schritt halten mit ihm.«
    Bislang hatte das Gespräch im Stehen stattgefunden. Jetzt endlich bot Matuschek seiner Kollegin einen Sitzplatz an. »Möchtest du etwas trinken?«, fragte er. Als sie kopfschüttelnd in einen Sessel sank, hakte er nach: »Du bist dem Mann also gefolgt, richtig?«
    Â»Ja.«
    Â»Karin, ich bitte dich, lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«
    Â»Na ja, ich dachte, vielleicht taugt er für uns als Informant. Solche Leute können manchmal sehr gesprächig werden, man muss sie nur zu nehmen wissen …«
    Â»â€¦Â oder auf andere Weise entgegenkommend behandeln!« Er machte mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen des Geldzählens, doch Karin ging nicht darauf ein.
    Â»Ich bin ihm gefolgt, bis er in dem aufgelassenen Baumarkt verschwand.«
    Â»Kam nicht vorhin die Meldung herein, der sei abgefackelt worden?«
    Â»Ist er auch, wenigstens der Keller, in dem die Obdachlosen gehaust haben. Aber du weißt, dass das Gelände an die Bahngleise grenzt. Auf der anderen Seite steht ein zweites Gebäude, unmittelbar vor der talabschließenden senkrechten Felswand, dort hab ich den Typen aus den Augen verloren. Natürlich hab ich mich genauer umgesehen, und was soll ich dir sagen?«
    Â»Nun lass es schon raus!«
    Â»Es gibt in dem leer stehenden Gebäude einen zweiten Unterschlupf für unsere Stadtstreicher. Ich natürlich rein, doch der Kerl blieb wie vom Erdboden verschluckt. Dafür stand ich plötzlich Göbbels

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