Segel aus Stein
»Siebenundfünfzig.«
»Das glaubst du doch selber nicht!« Angela zielte mit einem Kissen nach ihm.
»Genau vierzig«, sagte Winter, »wie du.«
»Ist das eine Zukunftsvision?«, fragte die fünfunddreißigjährige Angela und hob wieder das Kissen.
»Wir leben in der Zukunft«, sagte er. »Dorthin sind wir UNTERWEGS.« Er warf ein Kissen in ihre Richtung und stoppte damit ihren Wurf.
»Ich hab gedacht, bei dieser Geschichte geht es um die VERGANGENHEIT«, sagte sie und schleuderte das Kissen wieder zurück. Winter duckte sich, und das Kissen warf den Wecker um, der auf die lackierten Kieferndielen fiel.
»Jetzt hast du den FUSSBODEN kaputtgemacht«, sagte Winter und warf sein letztes Kissen.
Angela schien von etwas abgelenkt zu sein und bekam das Kissen mitten ins Gesicht. Winter drehte sich um, um zu sehen, was sie sah.
»Was MACHT ihr da?«, fragte Elsa, die mit der Uhr in der Hand auf der Schwelle stand.
»Ich muss erst mit ihr reden«, sagte Angela, als sie im Bett lagen und alles dunkel und still war. »Mit Steves Frau. Das ist wichtig. Ich glaube, sie findet das auch.«
»Klar.«
»Und dann mit Lotta und Siv und da...« »Ich weiß. Es ist ja nur für den Fall des Falles...« »Dann ist es keine dumme Idee«, sagte sie. »Danke«, sagte er.
Sie schwieg im Halbdunkel. Vom Flur fiel Licht herein, wo ein Nachtlicht unterm Telefontischchen brannte. Er konnte das leise Summen des Kühlschranks hören.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte sie.
»Ja?«
»Diese Sache, in die ihr Klarheit bringen wollt.« Er sah ihre Silhouette näher kommen. »Das kann doch nicht irgendwie gefährlich werden, Erik?«
Bergenhem und Peters trafen sich in einem Cafe im Zentrum. Peters kam vom Training.
»In deinem Job dürft ihr vermutlich gratis trainieren?«, fragte er.
»Ja«, sagte Bergenhem.
»Das werd ich meinem Chef mal vorschlagen«, sagte Peters.
»Ich dachte, du bist selber der Chef.« »Ich hatte es satt«, sagte Peters.
Er war Art Director. Sein Büro war zu groß geworden. Er hatte aufgehört und ein kleineres eröffnet und war an den Zeichentisch zurückgekehrt.
»Von Werbung hab ich nie was verstanden«, sagte Bergenhem.
»Wie meinst du das?«
»Wie die entsteht.«
Peters hatte gelacht mit einem weißen Milchbart vom Cafe au lait auf der Oberlippe. »Kümmre dich gar nicht darum, Lars.« »Warum nicht?«
»Das ist nur eine gigantische Verschwendung menschlicher Intelligenz.«
»Wieso?«
»Das Ganze läuft doch nur darauf hinaus, die Leute reinzulegen.«
»Und trotzdem machst du weiter.«
»Ich bin ja nicht van Gogh.«
»Aber es gibt doch irgendwas dazwischen?«
Peters antwortete nicht, er sah weg.
»Das gibt es doch?«, sagte Bergenhem.
»Ich weiß es nicht«, sagte Peters, und Bergenhem verstand, was er meinte. Es ging nicht um Bildkünste.
Aber es gab etwas dazwischen. Genau dort befand Bergenhem sich, dazwischen. Vielleicht sollte er in die Position davor zurückkehren. Aber - na und? Er hatte einen neuen Freund. Er brauchte Freunde. Er hatte keine Freunde. Er hatte eine Familie. Martina war seine Freundin, klar war sie das. Jetzt hatte er auch einen Freund.
32
Der Espresso hatte einen doppelten Effekt. Winter konnte nicht einschlafen und er konnte nachdenken. Um drei glitt er aus dem Bett, ging durch den Flur und schaute zu Elsa hinein, die mit halb geöffneten Augen auf dem Rücken schlief. Er konnte es sehen, da sein Gesicht zehn Zentimeter von ihrem entfernt war. Er hörte sie kaum atmen, und deswegen lauschte er lange. Keine Polypen mehr. Es war offenbar falscher Alarm gewesen. Er hatte Polypen gehabt und war operiert worden, und das hatte ihm nicht gefAllen. Die Operation hatte in den sechziger Jahren stattgefunden, vor mehr als hundert Jahren, als sich die Kunst der Ärzte noch im Entwicklungsstadium befand. Soweit er sich erinnern konnte, hatte der Feldscher Knorpel und Polypen mit Stemmeisen und Hammer weggemeißelt. Mama war irgendwo gewesen. Papa war nicht dort gewesen. Er hatte schon damals daran gearbeitet, seine Steuern zu senken. Sein Vater war nur mäßig daran interessiert gewesen, während der Rekordjahre am Aufbau des Wohlstandsstaates mitzuarbeiten. Später versorgte er arme Tagelöhner im südlichen Spanien mit Arbeit. Vielleicht war das ein verspäteter Beitrag zur Solidarität, innerhalb der EU. Aber Winter hatte schon frühzeitig aufgehört, sich mit seinem Vater über Politik zu unterhalten, wenn sie überhaupt je damit angefangen hatten. Bengt Winter war
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