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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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werden, weit entfernt von den Herrschaften. Eine übermenschliche Tat, aber möglich.
    Der Lord und die Lady waren jetzt fort, wie so vieles andere. Das Meer war geblieben, aber selbst das schien sich zurückzuziehen, jedes Jahr ein Stück mehr. Die Trawler blieben bei Ebbe immer weiter draußen im Schlick liegen, die leuchtenden Rümpfe wie Mäuler in der Dämmerung, als ob ein Schwarm Butzköpfe die Stadt angreifen wollte, aber in der Ebbe hängen geblieben wäre.
    Er stand oberhalb des Hafenbeckens. In der Luft war Schwefel. In der Luft, dachte er: Was körperlich zu sein schien, zerstob im Wind.
    Seine Hüfte tat weh, jeden Tag ein bisschen mehr. Er sollte nicht gehen, aber er ging trotzdem.
    Als er das erste Mal hierher gekommen war, war die Stadt an dieser Küste der größte Hafen der Fischereiflotten gewesen, südlich vom Moray Firth. Größer als Keith, Huntly, sogar größer noch als Buckie.
    The Buckle boys are back in town.
    Diesmal blieb er nicht lange. Es war zu der Zeit gewesen, als er nicht wusste, wer er war oder wo er war. So war es gewesen. Wie eine Blindheit. Jetzt wusste er, dass er damals gegangen war, gestanden und gesprochen hatte, aber er war sich dessen nicht bewusst gewesen.
    Nachts wurde er manchmal von seinem eigenen Schreien wach und stellte fest, dass er aufrecht im Bett saß in dem eiskalten Zimmer. Sein Atem war wie eine weiße Fahne vor seinem Mund. Der Schrei war gleichsam gefangen in diesem Atem. Es war ein furchtbares Gefühl, furchtbar. Sein Hals war gepeinigt, wie in Eisen geschlagen. Was hatte er geschrien? Wer hatte ihn gehört? Er war hinaus auf die Straße gegangen, hatte jedoch nicht die geringste Bewegung hinter den schwarzen Fenstern im Haus auf der anderen Seite gesehen.
    Niemand hatte ihn gehört.
    Er hatte die Lichter der Stadt von oberhalb gesehen, nur einige wenige Lichter.
    Da hatte er an sie gedacht, ganz kurz.
    Er hatte die Telefonzelle im Nebel blitzen sehen. Darin klingelte es nie.
    Er würde sie bitten.
    Sie würde es tun.
    Sie hatte seinen Wunsch befolgt.
    Jetzt war er nicht mehr so sicher.
    In der letzten Zeit hatte sie ihn mit einem Blick angesehen, der ihm fremd war.
    Er hatte sie nicht gefragt.
    Er ließ den Hafen hinter sich und ging durch Seatown. Die Häuser drängten sich aneinander, duckten sich unter die Viadukte. Er ging durch die Straßen, die keinen Namen hatten, auf sein Haus zu. This is where the streets have no names, dachte er. Er dachte häufig auf Englisch, fast immer.
    Manchmal tauchte ein Splitter der alten Sprache auf, aber nur, wenn er sehr erregt war. Where the streets have no names. Es gibt nur noch zwei Orte, wo es genauso ist, und das ist im Himmel und in der Hölle.
    Er war an beiden Orten gewesen. Jetzt reiste er zwischen beiden hin und her.
    Die Häuser hatten Nummern, scheinbar ohne jede Logik. Nummer sieben lag neben Nummer fünfundzwanzig, sechs neben achtunddreißig. Er wohnte in dem schwarzen Haus mit der Nummer vierzehn. Das bedeutete, dass es als vierzehntes Haus in Seatown gebaut worden war. So waren hier die Regeln. Seins war das einzige schwarze Haus.

6
    Fredrik Halders lag auf dem Sofa, die Füße auf der Seitenlehne. Von der Decke über dem Sofa hing eine seltsame Lampe. Oder wirkte sie nur aus dieser Perspektive komisch?
    »Hab ich die Lampe schon mal gesehen?« Er zeigte nach oben.
    »Die Frage musst du dir wohl selber stellen«, sagte Aneta Djanali, die auf dem Fußboden über ein paar Fotos gebeugt saß.
    Halders kicherte, jedenfalls klang es in Anetas Ohren wie ein Kichern.
    Er versuchte den Kopf in der liegenden Haltung zu drehen. Aber das war ein Fehler. Sein Nacken würde nie mehr so werden, wie er einmal gewesen war. Er hatte einmal einen Schlag abgekriegt in einem Moment, als er sich noch idiotischer verhalten hatte als sonst, und das hätte sein letzter Fehler werden können. Seinen ursprünglichen Stiernacken würde er nie wiederbekommen. Das machte auch nichts. Jeder wusste ja, was in der letzten Lebensphase mit Stiernacken geschah.
    »Ist die aus Afrika?«, fragte er.
    »Was glaubst du?«, fragte sie zurück, ohne aufzuschauen.
    Er studierte die Unterseite der Lampe. Sie hatte einen spitzen Unterbau und weiter oben etwas in Grün.
    »Sie ist aus Afrika«, sagte er.
    »Gut, Fredrik.«
    Er applaudierte sich selber. Das nannte man chinesischen Applaus.
    »Rätst du, aus welchem Land?«, hörte er Anetas Stimme vom Fußboden her. »Und um die Frage schwerer zu machen, möchte ich wissen, wie das Land hieß,

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