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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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schlecht ist. Es ist nicht lustig, wenn sich das Schleppnetz bei Windgeschwindigkeiten von zwanzig Metern pro Sekunde am Meeresboden verfängt.«
    Er drehte sich um, als wollte er sehen, ob seine Schwester da war. Aber Johanna Osvald hatte sich für einen Moment entschuldigt und war übers Fallreep an Land geklettert und zwischen den Häusern verschwunden, die bis nah an den Kai gebaut waren.
    »Wir sind ein bisschen zwiegespalten, was das Wetter angeht«, sagte Osvald. »Ist es schlecht, werden wir für unsere Fänge ja gut bezahlt. Weil sich dann nur wenige rauswagen. Und bis jetzt gibt es noch keinen Fischer, der durch Sturm Verluste hatte! Nach einem Sturm gehen die Preise rauf. Und er rührt den Kessel am Grund ordentlich um. Dem Meer tut ein Sturm gut.«
    Der Sturm rührt den Kessel um, dachte Winter. So ist es. Alles wird aufgerührt, wird umgedreht, Steine werden umgedreht, das Alte wird neu, das Neue wird alt, rundherum und rauf und runter.
    Das war wie bei seiner Arbeit. So wollte er es haben. Das Vergangene existierte nicht wie etwas Vergangenes, nicht mehr als eine Abstraktion. Es existierte in der Wirklichkeit, war genauso gegenwärtig wie das Jetzt, ein Parallel-Zustand, von dem niemand einfach wegsegeln konnte.
    Er sah Osvald an. Der gleichaltrige Mann war hier zu Hause, in seinem eigenen Hafen, oder er war eher auf dem Meer zu Hause, aber das Meer war nah.
    »Was gefällt dir am besten da draußen?«, fragte Winter.
    »Auf dem Meer?«
    Osvald schien ihn nicht gehört zu haben. Winter wiederholte seine Frage. Osvald schaute weiter übers Wasser, als ob er Besuch erwartete oder ein Schiff überm Horizont auftauchen würde, als Ersatz für die Sonne, die dort untergegangen war. Eine Rauchsäule. A distant ship's smoke on the horizon.
    »Man ist König«, sagte Osvald plötzlich. Er lachte.
    »Wenn man oben auf der Brücke steht und um sich blickt, ist man hoch über allem. So weit man sehen kann, ist man erhöht. Auf mehrere Art, auch geistig...«
    Winter verstand, was er meinte. Osvald war ein gläubiger Mann. Aber er wollte auch König sein, ein weltlicher König. Und König des Meeres. Winter überlegte, was Osvald bereit wäre zu tun, um sein Königreich und den Trawler, der sein Thron war, zu erhalten. Winter dachte wieder an die Risiken. Wie weit würde Osvald gehen? Gab es etwas, das ihn bremsen konnte?
    »Stell dir mal im Vergleich den Wald vor«, fuhr Osvald fort. »Mein Schwager hat ein Stück Wald an Land, und wenn man dort ist, tief unter den Bäumen . dann ist man ja das Geringste von allem dort.«
    »Ja.«, sagte Winter, »das macht einen irgendwie demütig.«
    »Demütig . mhm . ja, demütig . versteh mich richtig, fünfundzwanzig Jahre auf der Nordsee machen einen demütig, das prägt einen . jahrein, jahraus, tagein, tagaus . In mancher Hinsicht wird man anmaßend, aber nicht jeder. Vor gewissen Dingen empfindest du riesige Demut.«
    Winter nickte. Osvald war ernst. Plötzlich war es, als stünde Winter gar nicht neben ihm. Osvald sprach mit dem Meer. Winter begriff, dass er es mit einem Mann zu tun hatte, der selten so viel redete, der sich aber manchmal danach sehnte es zu tun, wie jetzt. Aber Osvald sprach auf seine Art und folgte seiner eigenen Logik.
    Wenn ich hier weitermache . dann ist in dem Verschwinden eine Logik, der ich auch folgen muss. Winter spürte im Gesicht, dass der Wind zunahm. Das ist diese Logik, diese Gedanken kommen aus einer anderen Welt als an Land. Es ist das Leben in dieser Welt, die hier etwas bedeutet. Und was größer ist als das Leben. Larger than life. Das ist es, worüber Osvald redet.
    »Es gibt eine Oberhoheit«, sagte Osvald, als ob er Winters Gedanken gelesen hätte. »Jenseits der Küstenwache.« Er lachte, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Wenn es keine . Oberhoheit gibt, dann ist doch alles sinnlos.«
    Winter drehte sich um und schaute zum Ort, die großen Häuser, die kleineren, die schmalen Straßen, die Mopeds mit Ladeanhänger, die das Transportmittel der südlichen Schären waren. Er sah das Kreuz. Das Missionshaus. Jetzt fiel ihm ein, dass die Familie Osvald der Missionskirche angehörte.
    »Du hast gesagt, da draußen bist du am höchsten«, sagte Winter. »Meinst du damit, dass du dem Himmel nah bist?«
    »Tja . von welchem Himmel redest du?«
    »Der, von dem du eben geredet hast.«
    »Der Oberhoheit?« Osvald schien über seine eigenen Worte zu lächeln, als ob er nur einen Scherz gemacht hätte. Der hohe Himmel, das Höhere darüber.

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